Erzählung (1812) Braka, die alte Zigeunerin im zerlumpten roten Mantel, hatte kaum ihrdrittes Vaterunser vor dem Fenster abgeschnurrt, wie sie es zum Zeichenverabredet hatte, als Bella schon den lieben, vollen, dunkelgelockten Kopfmit den glänzenden, schwarzen Augen zum Schieber hinaus in den Schein desvollen Mondes streckte, der glühend wie ein halbgelöschtes Eisen aus demDuft und den Fluten der Schelde eben hervorkam, um in der Luft immerheller wieder aus seinem Innern heraus zu glühen. “Ach, sieh den Engel”,sagte Bella, “wie er mich anlacht!” “Kind”, sprach die Alte und ihr schauderte, “was siehst du?” “Den Mond”, antwortete Bella, “er ist schon wieder da, aber der Vater istwieder nicht nach Hause gekommen. Alte, diesmal bleibt der Vater gar zulange aus, doch ich hatte schöne Träume von ihm in der letzten Nacht, ichsah ihn auf einem hohen Throne in Ägypten, und die Vögel flogen unter ihm,das hat mich getröstet.” “Du armes Kind”, sagte Braka, “wenn’s nur wahr wäre, hast du denn was zuessen und zu trinken bekommen?” “O ja”, antwortete Bella, “der Nachbar hat seine Äpfelbäume geschüttelt,da sind viele Äpfel in den Bach gefallen, die habe ich aufgefischt, wo siein den Wurzeln am krummen Ufer stecken geblieben, auch hatte der Vater,ehe er ausging, mir ein großes Brot herausgelassen.” “Daran tat er recht”, weinte die Alte, “er hat kein Brot mehr nötig, siehaben ihn vom Brot geholfen.” “Liebe Alte, sprich”, bat Bella, “mein Vater hat sich doch nicht Schadengetan bei den starken Mannskünsten? Führ mich hin zu ihm, ich will ihnpflegen. Wo ist mein Vater? Wo ist mein Herzog?” So fragte Bella zitternd, und die Tränen fielen ihr aus den Augen durchden Mondschein auf harte Steine nieder wär ich ein ziehender Vogel gewesen, ich hätte mich niedergelassen undmeinen Schnabel eingetunkt und sie zum Himmel getragen, so traurig und soergeben in seinen Willen waren diese Tränen. “Sieh dort”, schluchzte die Alte, “auf dem Berge steht ein Dreifuß,dreibeinig, aber nicht dreieinig. Gott weiß nichts von ihm, und dochheißt er das hohe Gericht, wer vor dem Dreifuß vorbeikommt, der kann nochlange leben, das Fleisch, was da die Sonne kocht, das wird in keinen Topfgesteckt, es hängt daran, bis wir es abnehmen. Sei ruhig, du armes Kind,und schrei nur nicht, dein Vater hängt da oben, aber sei nur ruhig, wirholen ihn diese Nacht und werden ihn in den Bach werfen mit allen Ehren,wie ihm zukommt, daß er hinschwimme zu den Seinen nach Ägypten, denn erist auf frommer Wallfahrt gestorben. Nimm diesen Wein und dieses Töpfchenmit Schmorfleisch, halte ihm ein Totenmahl in deiner Einsamkeit, wie essich geziemt.” Bella konnte vor Schrecken kaum fassen, was sie ihr reichte. Die Altefuhr fort: “Halt doch fest, daß es nicht fällt, wein dir nicht die Augenaus, denk daran, daß du jetzt unsre einzige Hoffnung bist, daß du dieUnsern, wenn unser Gelübde vollbracht, zurückführen sollst; denk auch, daßdir jetzt alles gehört, was dein Vater besessen, sieh nur in seiner Kammerzu, da hast du den Schlüssel, da wirst du viel finden. Ja, bald hätte iches vergessen, als er mir den Schlüssel gab, sagte er, du möchtest dich vorseinem schwarzen Simson nicht fürchten, der Hund würde es schon wissen,daß er dir gehorchen müsse und dich nicht mehr beißen dürfe; dann sagte ernoch, du solltest nicht traurig sein, er sei lange am Heimweh krankgewesen und nun werde er gesund, da er heimkomme. Das sagte er–und dahast du einen Hutkopf voll Milch, die habe ich einer Kuh auf der Weideausgemolken, die gehört zum Totenmahle. Gute Nacht, Kind!” Die Alte ging, und Bella sah ihr nach wie einem bösen Briefe, der ihr vorSchrecken aus der Hand gefallen, und den sie doch gern ganz wissen möchte;sie wäre lieber mitgegangen, aber sie zauderte in ihrer Traurigkeit undscheute das rauhe Volk, was sie da antreffen würde, so sehr sie es liebte. Die Zigeuner waren damals in der Verfolgung, welche die vertriebenen Judenihnen zuzogen, die sich für Zigeuner ausgaben, um geduldet zu werden,schon sündlich verwildert; oft hatte Herzog Michael darüber geklagt undalle seine Klugheit angewendet, sie aus dieser Zerstreuung nach ihremVaterlande zurückzuführen. Ihr Gelübde, so weit zu ziehen, als sie nochChristen fänden, war gelöst, denn sie waren schon aus Spanien vomWeltmeere zurückgekehrt; nur der Wunsch nach der neuen Welt hielt sie inder alten, die nur Krieger, keine Pilger hinübersetzen wollte. DasZurückführen nach Ägypten war aber bei der zunehmenden Türkenmacht, beider Verfolgung überall, bei dem Mangel an Gelde unendlich schwer. Schonhatte der Herzog, was sonst ihre Nationalbelustigung war, Proben vonStärke und Geschicklichkeit (wie sie schwere Tische auf ihren Zähnen imGleichgewichte trugen, wie sie sich springend in der Luft überschlugenoder auf den Händen gingen), alles das, was sie mit dem Namen der starkenMannskünste bezeichneten, zu ihrer Erhaltung zu benutzen gesucht, aber voneinem Gebiete ins andre zurückgedrängt, erschöpften sich dieseErwerbsquellen, und auch die Besseren, wenn selbst das Wahrsagen nichtmehr galt, sahen sich gezwungen, ihre ärmliche Nahrung zu stehlen oder mitjagdfreien Tieren, wie Maulwürfe und Stachelschweine, fürlieb zu nehmen.Da fühlten sie erst recht innerlich die Strafe, daß sie die heilige MutterGottes mit dem Jesuskinde und dem alten Joseph verstoßen, als sie zu ihnennach Ägypten flüchteten, weil sie nicht die Augen des Herrn ansahen,sondern mit roher Gleichgültigkeit die Heiligen für Juden hielten, die inÄgypten auf ewige Zeit nicht beherbergt werden, weil sie die geliehenengoldnen und silbernen Gefäße auf ihrer Auswanderung nach dem gelobtenLande mitgenommen hatten. Als sie nun später den Heiland aus seinem Todeerkannten, den sie in seinem Leben verschmäht hatten, da wollte die Hälftedes Volks durch eine Wallfahrt, so weit sie Christen finden würden, dieseHartherzigkeit büßen. Sie zogen durch Kleinasien nach Europa und nahmenihre Schätze mit sich, und so lange diese dauerten, waren sie überallwillkommen; wehe aber allen Armen in der Fremde. Das mußte voraus berichtet werden, jetzt zu unsrer Geschichte zurück. Einneuer Haufe, unter denen Happy und Emler, waren vor acht Tagen ausFrankreich ohne alles Geld angekommen, der Herzog entschloß sich, zu ihremUnterhalt selbst seine Künste wieder einmal zu zeigen, er ging mit ihnenin ein Wirtshaus, und als er eben zu aller Bewunderung acht Männer auf Armund Schultern trug, kam das Geschrei, der Happy sei gefangen, er habe zweiHähne im Hofe gestohlen, und im Fortgehen habe ihn ihr Krähen verraten,und Michael, der Herzog, sei bloß darum im Zimmer geblieben, um die Leuteheranzulocken. Die Genter Bürger verziehen wegen ihres Reichtums keinenDiebstahl; vergebens stellte sich Herzog Michael, als ob er den Happy imAugenblicke erschießen wollte, er selbst und Emler wurden mit dem Happyverhaftet und als Diebe zum Strange verurteilt; damals gab es ein strengesRecht gegen die Zigeuner, sie totzuschlagen, wo sie sich finden ließen.Michael beteuerte umsonst seine und Emlers Unschuld vor dem Gerichte undsprach: “Uns geht es wie den Mäusen, hat eine Maus den Käse angenagt, sosagt man, die Mäuse sind’s gewesen, da geht’s an ein Vergiften und Fangenaller, so sind wir Zigeuner jetzt nirgends mehr sicher als am Galgen!” Dieser sichre Ort wurde ihm durch das Gesetz, und er weinte schmerzlicheTränen aus der Höhe zur Erde, daß er, der letzte männliche Erbe seineshohen Hauses, so ehrlos und unschuldig umgebracht werde; da schloß sichseine Kehle bis zum jüngsten Tage, wo er seine Klage gegen dieUnbarmherzigkeit der Reichen vortragen wird, die ein Menschenleben gegendie Sicherung ihrer toten Schätze gering achten, da wird das Strick sowenig durch ein Nadelöhr gehen wie ein Kamel, und so werden die Reichennicht eingehen ins Himmelreich, wo Bella ihren Vater wiederfindet. Als Bella wieder zu sich gekommen, rief sie mehr als einmal: “Also das hatmir der Traum bedeuten sollen, daß mein Vater erhöht wurde, ja wohl ist erjetzt erhöhet in den Himmel und weiß von uns nichts mehr oder alles!” Der schwarze Hund kam jetzt gegen seine Gewohnheit von der Kammertür,legte sich ihr zu Füßen und heulte. “Also du weißt es auch schon,Simson?” fragte sie ihn, und der Hund nickte. “Willst du mir künftigdienen?” Der Hund nickte wieder, lief ans Fenster und kratzte. Bella sahhinaus, der Schieber war offen geblieben: sie sah die Gestalt ihres Vatersfernglänzend schweben, und plötzlich sank er hinunter. “Jetzt haben sieihn heruntergenommen, jetzt halten sie ihm ein Ehrenmahl, ich muß auchunter freien Himmel zum Totenmahl.” Mit dem Weinkruge und dem Brote, den schwarzen Hund zur Seite, trat sie inden verwüsteten Garten; das Haus war schon seit zehn Jahren der Gespensterwegen unbewohnt geblieben, denn so lange hatten die Zigeuner sich darineingenistet und den Besitzer, einen reichen Kaufmann der Stadt, der essich als Sommersitz eingerichtet hatte, daraus zurückgeschreckt, bis erselbst wegen eines Bankerotts eingesteckt und sein Vermögen für dieGläubiger in bekannter Nachlässigkeit verwaltet wurde. Jetzt hatten sieunter dem Schwert der Gerechtigkeit vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nurdurften sie sich am Tage nicht zeigen, während ihnen nachts alle Leute ausdem Wege gingen. So trat das bleiche, schöne Kind wie ein Gespenst zurHaustüre hinaus, und der Wächter in den nahen Gärten flüchtete sich beiihrem Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz desGlaubens zu fühlen. Bella wußte nicht, daß sie erschreckte, die Trauer umden Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, über den sie sich ganzvergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wußte nichts als die Regelnder alten Braka genau zu erfüllen; es war ihr das Liebste, daß sie nochetwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, wie es beiTotenmahlen ihres Volkes gewöhnlich, ihren Schleier über einen Feldsteinaus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach ihr Brot für beide,goß Wein in beide Becher, stieß mit den Bechern an, leerte den ihren undschüttete den Becher des Toten in den schwimmenden Bach, der sich ingeringer Entfernung von dem Hause in die Schelde verlor. Und wie sie dieserste Opfer in den Fluß schütten wollte, da rauschte es in der Flut undtauchte empor, als ob ein großer Fisch, der in dem Strome keinen Raumhatte, auftauchte und emporschwämme, der Mond trat hinter dem Hause hervor,und sie sah ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone,welche ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das fließendeWasser warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so gingdem armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich ausdem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarzeHund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; sowurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den Leichnamans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. Endlich kam Brakazurück, und da ihr an der Türe nicht aufgemacht worden, schlich sie in denGarten, wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kräftigenMichael im Totenhemde mit der glänzenden silbernen Krone, über ihm dasbleiche Mädchen, die schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleidegehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mußte nachihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehrzu Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren Mundewie ein Hungernder lachen mußte; dann sprang sie hinzu, hob das Mädchenmit Gewalt ans Ufer und sprach: “Laß ihn ziehen, er weiß seinen Weg besserals du!” Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging unterWolken, und Bella sank in die Arme der Alten. Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer eigenenSicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella langeweilte sich mitdem Hunde, dessen Künste sie nicht mehr sehen mochte, der ewig schlief,oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich leckte, kratzte; sie kam endlichdarauf, womit andere Erben anfangen, den Nachlaß der Verstorbenen zudurchsuchen. Sie schloß die geheime Kammer auf, nicht ohne Schrecken undEhrfurcht, aber ihre Erwartung war getäuscht; da waren keine selteneKleider und Kostbarkeiten, meist nur Bündel von Kräutern, Säcke mitWurzeln, einige Steine, lauter Dinge, von denen sie nichts verstand, weilder Vater ihrem kindischen Wesen keine Achtsamkeit für das Geheimezugetraut hatte. Endlich fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, diesie durchblättern konnte, manche mit köstlichen Siegeln geziert, aufwunderlichem Papier in fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernthatte, andre aber niederländisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesenkonnte, da ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraatenmit Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und ihremKinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Bücher und las eben nachts, dennbei Tage schlief sie, um alles Geräusch zu vermeiden, als Braka ihr durcheine zahme Ohreule, mit der sie sich seit einiger Zeit herumtrieb, eindreimaliges Zeichen gab, daß sie eingelassen sein wollte. Bella sprangunwillig von ihrem Buche auf, das merkwürdige Zauberhistorien enthielt,und wie Braka eingetreten, setzte sie sich wieder stillschweigend dabeinieder, daß die Alte ganz böse ihre Hände in die beiden Seiten stemmte:“Nun, kriegt die alte Braka heut keinen Gruß, keinen Kuß? ja wenn dieKinder klein sind, so wissen sie kaum, was sie einem alles für Liebes undGutes antun sollen, aber kaum fangen sie an, was vollständig zu werden, dahaben sie keine Ohren mehr für alles Gute, was man ihnen tun möchte; nun,den Kuchen sollst du heute nicht bekommen, wenn du mich nicht recht darumbittest, habe darum eine halbe Stunde beim Bäcker warten müssen, dersollte heute auf des Prinzen Tisch, die Magd wird sich schöne wundern,wenn sie beim Bäcker zum Abholen kommt und er schon fort ist.” “Wenn ich dich auch nicht bitte”, sagte Bella, “du hast doch keine Ruhe,bis ich ein Stück davon gegessen; gib nur her und sei nicht böse. Ich binheute bei meines Vaters Büchern gewesen und habe da so schöne Geschichtengefunden, daß ich gern ein Gespenst werden möchte.” Die Alte sah in dasBuch hinein und sagte: “Es ist doch sonderbar, daß ich so alt bin und kannnicht lesen, und du bist nur so ein Kuckindiewelt und kannst es schon; nunhör einmal, wenn du Lust hast, ein Gespenst zu werden, du kannst dazukommen, das fällt mir soeben ein, und wir können es brauchen.” “Was ist denn, du siehst ja so bedenklich aus?” “Sieh nur, Bella”, fuhr die Alte fort, “es ist auch keine Kleinigkeit, wasdir bevorsteht: denk nur, Prinz Karl ist gestern vor diesem Gartenhausemit seinem Lehrer Cenrio vorbeigeritten und hat gefragt, wie es käme, daßes so verschlossen und verfallen aussähe. Cenrio hat ihm erzählt, wie dieGespenster alle Käufer und Mieter abgeschreckt hätten, alles, wie du esweißt; wie dein Vater einen, der sich durchaus hier niederlassen wollte,mit Ruten gehauen; die vielen Eulen, die er in einer Kammer eingesperrthatte und sie einem andern um den Kopf fliegen ließ, nun, du weißt alles;der Prinz aber, statt daß er dadurch geschreckt worden, schwur, daß erganz allein eine Nacht in diesem Hause schlafen und die Geister baldvertreiben wolle. Was fangen wir nun an? es kann jede Nacht geschehen,daß er in dies Haus kommt, und seine Leute werden die Ausgänge sicher sobesetzen, daß keiner von den Unsern heraus- oder hereinkann.” “Hör, Braka”, sprach Bella, “den Prinzen möchte ich doch gern sehen, ichhabe so viel von ihm gehört, wie schön er ist und wie edel, wie er fechtenund reiten kann.” “Du denkst nun schon wieder an den Prinzen und nicht an unsre Not”, fuhrBraka fort; “hast du wohl Geschick, das Gespenst zu spielen? Das könntedich retten!” “Warum nicht”, meinte Bella, “aber wie soll ich’s anfangen?” und lasweiter in ihrem Buche. “Sieh, Kind”, sprach die Alte, “er kann in keinemandern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den goldenen Leisten,neben welchem das geheime Kämmerlein deines Vaters versteckt ist, denn dieandern Zimmer haben alle mehr Eingänge, da ist es ihm nicht so sicher,auch steht nur in diesem eine Bettstelle. Nun sieh, wenn du merkst, daßer stille, daß er eingeschlafen, so schleich aus der Kammer heraus, legdich zu ihm ins Bette, und ich schwör dir, daß er vor Angst davonläuft undnie wiederkommt; sollte er aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, sokostet es dir ja nur eine Lüge, daß du aus Liebe zu ihm eingedrungen, unddein Glück ist vielleicht gemacht.” “Ja, Alte”, sagte Bella und las weiter, “wie du meinst, du mußt dasverstehen, ich weiß nichts davon.” “Aber sag mir nur, wo du das verfluchte Buch herbekommen hast”, fragte dieAlte weiter, “wenn ich mit dir ernsthafte Sachen rede, denkst du an nichtsals an das Buch.” “Ich hab es aus des Vaters Kammer geholt”, sagte Bella, “es liegen da nochmehrere, nimm dir auch eins.” “Wenn du es erlaubst”, sagte die Alte, “so gehe ich gern einmal herein;ich habe mich immer gefürchtet, es dir zu sagen, ich wußte nicht, ob deinVater es nicht verboten.” “Geh nur”, sagte Bella, “du wirst sonst nicht viel finden.” Die Alte ging mit einer gescheiten Neugierde; an der Türe bat sie Bella,den schwarzen Hund wegzurufen, der immer vor der Kammertür lag und niemandals Bella einzulassen Befehl hatte. Bella rief ihn zu sich, und die Alteging ohne Aufenthalt in die Kammer. Als sie drin war, lachte Bella, wiesden Hund wieder zur Kammertür und versteckte sich, um den Schreck derAlten zu sehen; es war ein Prinzessinnenspaß, aber sie war auchliebenswürdig wie eine Prinzeß und war von je wie eine Prinzeß verehrtworden. Nicht lange nachher wollte die Alte mit einem großenKräuterbündel und mit einem Sacke zur Türe hinaustreten, aber der schwarzeHund machte ihr ein Paar feurige Augen und zeigte die Zähne; sie traterschrocken zurück und rief nach Bella in großer Angst. Zu gleicher Zeithörten sie ein ungewohntes Getrappel von Pferden vor der Türe, Menschen,welche über den Hof kamen, und Bella flüchtete sich erschreckt mit demLichte und den Speisen und mit dem Hunde zur Alten in die Kammer, die sieverschlossen, um dort in aller Stille abzuwarten, ob dies der Prinzgewesen sei, der seinen Kampf gegen die Gespenster ausfechten wollte. Siehatten sich nicht geirrt, es war Karl, der künftige Beherrscher einer Welt,in der die Sonne nie untergeht, in der ersten Frische des vollendendenWuchses, der in das verlassene Zimmer kam. Bella konnte ihn durch einverstecktes Türloch recht deutlich sehen, ihr war nie so etwas vorgekommen;sie hatte nur braune Zigeuner gesehen, lustig und heftig; dieser abertrat so großmütig einher, so sanft in geübter Kraft, sie wußte, daß er eswar, der künftige Herrscher, noch ehe ihn seine Begleiter als Prinzgegrüßt. Sein Hochmut entzückte sie, mit dem er Cenrio zurückwies, derdie Wette zurücknehmen wollte, weil er behauptete, der Prinz habe durchseine Anwesenheit bewährt, daß er sie wirklich ausführen wolle. Der Prinzwarf aber rasch sein schwarzsammetnes Barett auf den Tisch, breiteteseinen Regenmantel über die Bettstelle und befahl Cenrio, auf die Umgebungdes Hauses zu wachen und ihm ein paar brennende Kerzen im Zimmerzurückzulassen, er sei müde. Cenrio empfahl ihm, das Zeichen mit derPistole nicht zu vergessen, wenn er jemand bedürfte; oder im Fall dieseversagte, dabei besah er das Schloß, so würde sein Rufen schon genügen, daer einen Soldaten unter dem Fenster ausstellen und selbst in der Nähewachen würde. Der Prinz meinte, er möchte sich das Wachen und Bewachenersparen, in seinem Panzerhemde, mit gutem Degen bewaffnet sollte ihm soleicht niemand gefährlich werden; die Ammenmärchen von Geistern schrecktenihn aber nicht mehr. Cenrio verließ das Zimmer. Der Prinz stützte sichauf die Hand und lallte ein Lied, um wach zu bleiben; dann streckte ersich aufs Bette und sang wieder, indem er einschlummerte; da das Bette derKammer gegenüberstand, konnte Bella ihn deutlich sehen und die Wortevernehmen: Komm, lieblich schwarze Nacht,Und drücke schießende Sterne,Wie Siegel deiner Macht,Als Zeichen meiner Ferne,In meine mutige Brust,Daß aller Funken LustAus künftigen Kronen geschmiedet,Mich wecke, den Dienen ermüdet. Sie sitzt auf dunklem Thron,Ihr ruhet auf wolkigem KissenDie ewig schimmernde Kron’.–O möcht’ ich die Liebliche küssen!Und machte der Venus SternDie einzige Nacht mich zum Herrn,Dann könnt’ ich die Erde umwallen,Mit allen Kronen,–mit allen. “Der ist einmal ungeduldig, daß er zur Regierung komme”, sagte die Altemit leiser Stimme zu Bella. Seine Augen sanken nieder und sein Haupt. Erwar eingeschlafen, und Bella starrte noch immer zu ihm hin und konnte sichnicht satt sehen; die Alte aber hatte schon ihren Anschlag gefaßt. DieWaffen, Degen und Pistole, lagen vor dem Bette des Prinzen, die sollteBella erst leise holen und dann den Geist spielen und sich zu ihm legen;aber nur mit Mühe beredete sie das Mädchen dazu, Schuh und Strümpfeauszuziehen, damit sie leise gehen könne, und ihr Kleid auszuziehen, damitsie nirgends anstoßen möge, und mußte sie fast zur Kammertür hinausstoßen,die sie vorsichtig nur anlegte, um ihr den Rückzug zu sichern. Das alteWeib hatte sicher eine böse Absicht bei diesem Vorschlage: das Kuppeln warlange ihr Hauptgeschäft, und diesmal konnte sie auf einmal das Glück ausdem niedern Stande emporreißen. Bella ahndete von dem allen nichts, eswar ihr lieb, den Prinzen in der Nähe zu sehen, darum untersuchte sienicht lange, ob der Vorschlag der Alten wirklich vernünftig angelegt sei.Sie trat also mit großer Sorgfalt an das Bette des Prinzen, der so festschlief, daß sie mit Sicherheit seine Waffen hätte forttragen können; dieAlte sah beide mit Freuden an. Bella nach Art der Zigeuner in eine blaueLeinewand statt des Hemdes gewickelt, die von einem goldnen Gürtelfestgehalten wurde, hatte die runden, blendenden Arme etwas scheu nach demPrinzen ausgestreckt, die zierlichen, leisen Tritte der schimmernden Füßehinziehend zu ihm, aus ihren unzähligen Locken tausend Glückslose auf ihntaumelnd in tausend süßen Blicken, bis der Mund sich nicht mehr haltenkonnte und auf den Mund des Prinzen niedersank. Bis jetzt war ihr allesgelungen, der Prinz aber, von dem Kusse erweckt, vor den erschrecktenAugen von tausend Phantomen seines Traumes wie mit glühenden Kugelnumstürmt, sprang mit höchstem Ungestüme auf und stürzte atemlos schreiendin das Nebenzimmer; seine Pistole, seinen Degen, alles hatte er vergessen,solch ein Grauen wohnt in der Tiefe des hochmütigsten Menschen vor derunnennbaren Welt, die sich nicht unsern Versuchen fügt, sondern uns zuihren Versuchen und Belustigungen braucht. Bella war so entsetzt vonseinem Abscheu, daß sie sich stumm und willenlos der Alten überließ, diesie rasch durch die versteckte Tapetentüre in die Kammer trug. Balddarauf kam der Prinz mit Cenrio und einigen Soldaten zurück, die inWahrheit alle größere Lust hatten, draußen zu bleiben, als einzudringen.Wer so etwas nicht empfunden hat, wird es nicht glauben, aber ein Gespenstschlägt eine ganze Armee in die Flucht, denn was einem braven Manneübermächtig furchtbar ist, das ist es im Durchschnitte für alle. DerPrinz zeigte noch den meisten Mut; er schwur laut: “So schrecklich dieschwarzen Schlangen an dem Haupte waren, ein schöneres Antlitz habe ichnie gesehen, ungeachtet der ungeheuren Größe in dem besten Verhältnisse,einen glühenden Knopf trug es an der Brust; aber jetzt ist nichts hier beider heiligen Mutter Gottes, leuchtet nur unter das Bette; will keiner dran,so muß ich’s selbst tun: hier auch nichts; so war’s denn doch einGespenst, Cenrio, und ich habe meinen Türkensäbel an Euch verloren, Cenrio;wüßte ich nur, was das liebe Gespenst verlangt hätte, bei Gott, ichbleibe hier, seht, es fällt mir erst jetzt alles wieder ein. Sind meineLippen nicht verbrannt? ich schwöre Euch, es hat mich geküßt, daß mir vorSeligkeit das Herz stieg. Cenrio, ich will hier bleiben, will es fragen,was es von mir begehrt!” Cenrio schwur, daß er es nach diesem Schrecke des Prinzen seinerGesundheit wegen nicht zugeben dürfe, der Prinz selbst ließ sich nichtlange bitten, diese harte Probe seiner Herzhaftigkeit aufzugeben. Er warnicht beschämt, da alle bleich und erschreckt umhersahen und beimleisesten Geräusch zusammenfuhren, auch konnte er jetzt noch, ohne daßAdrian, der bei seinen Büchern saß, etwas davon gemerkt hätte, nach Hausekommen. Die Alte war nicht ganz zufrieden mit dem Entschluß, indessenwußte sie das Gute davon doch noch vollständig zu nutzen, um sich und denihrigen das Haus zu sichern, denn kaum war die Haustüre von den raschauswandernden Gästen verlassen, so sprang sie zum Schrecken der gutenBella wie eine Rasende aus der Kammer, schlug mit allen Türen heftig aufund zu, warf alle Tische um, daß die Abziehenden in stiller Angst ihrePferde bestiegen und, ohne sich umzublicken, nach der Stadt ritten, wo sieauf ewige Zeiten durch vergrößernde Erzählungen den Geisterruf desGartenhauses bestärkten. Der Prinz mußte noch in derselben Nacht miteinem Fieber für sein Wagestück büßen. Der liebliche Kopf der Bellaschwebte ihm darin vor, das Fieber verriet ihn, indem es ihm eine falscheWahrheit zeigte, und er beichtete es mit großer Betrübnis am anderenMorgen dem Adrian, wie er in ein Gespenst verliebt sei. Das war eineköstliche Gelegenheit für diesen, dem Kaiser Maximilian die Sorge für dasLateinlernen seines Enkels besonders übertragen hatte, ihm zur Buße einegroße Menge Vokabeln aufzugeben, die auch der Prinz mit einigem Erfolgegegen den nächtlichen Eindruck brauchte. Die arme Bella in ihrer Einsamkeit mußte ihre erste Zuneigung härter büßen.Nachdem es ihr ein paar Tage genügt hatte, statt zu schlafen, an ihn zudenken und nachts von allen Seiten umzuschauen, ob er nicht wieder zumBesuche in ihr Geisterhaus kommen würde, nachdem Braka sie ernstlichausgescholten hatte, daß sie so törichten Gedanken, die sie vor der Zeitbleichten, ihre frischen Tage hingebe, nachdem sie sich diesen und andernRat gar oft wiederholt hatte und doch immer wieder vergaß und in denbeliebten fremden Gedanken abgleitete, fragte sie einmal Braka, ob es dennkein Mittel gebe, wie man unsichtbar werden könne, um in der Stadtherumwandern zu dürfen. Braka lachte und sprach: “Ich weiß kein anderes,als viel Geld zu haben, da kann man eingehen, wo man will, das ist derwahre Hauptschlüssel, die wahre Springewurzel, bei deren Berührung dieTüren aufspringen. Dein Vater mochte noch wohl andre Künste gewußt haben,aber wenn sie nicht in seinen Büchern stehen, so sind sie verloren!”Bella behielt diese Nachricht still vor sich, sie fiel ihr ins Gemüt, alsob sie dieselbe nie vergessen könnte; kaum war die Alte wieder auf denErwerb ausgegangen, so suchte sie die Bücher wieder hervor, die seit demBesuche des Prinzen in einem Winkel gerastet hatten; sie sah bei dieserGelegenheit, daß die Alte ihr den ganzen Vorrat seltener heilender Kräuterund Wurzeln fortgetragen hatte, und diese Untreue brachte sie zu demEntschlusse, ihr nichts mehr von allem zu entdecken, wozu sie die geheimenKräfte ansprechen wollte. Aber welcher neue Ekel war ihr in diesenBüchern vorbereitet, viel geheime Regeln, Zeichnungen, von denen sienichts verstand, den Stein der Weisen zu finden, Geister zu zitieren,Krankheiten zu beschwören, das Vieh zu verzaubern, endlich auch ein Mittel,Gold zu machen, aber dies Mittel so weitläufig,.als müßte man zwei Mondenanspannen, um zur Sonne zu fahren. So verging ihr eine Woche nach derandern, bis sie in einer Nacht ganz ermüdet auf eine ausführlicheNachricht traf, wie Alraunen zu bekommen, und wie diese dienstbar Geld undwas ein weltliches Herz sonst begehre, mit stehlender, untrüglicherListigkeit zuführten. Aber welche Schwierigkeit, sie zu gewinnen, unddoch war es die leichteste von allen Zaubereien; die Zauberei braucht diehärteste Schule; wer sie aushalten kann, möchte auch wohl in dengewöhnlichsten Geschäften ohne alles Geheimnis zu zaubern scheinen. Werkennt jetzt nicht die Bedingungen, einen Alraun zu gewinnen, und wermöchte sich ihnen noch unterziehen, wer könnte sie erfüllen? Es wird einMädchen gefordert, das mit ganzer Seele liebt, ohne Begierde zur Lustihres Geschlechtes, der die Nähe des Geliebten ganz genügt: eine erste,unerläßliche Bedingung, die vielleicht in Bella zum erstenmal wahrgewordenwar, weil sie von den Zigeunern, die sie bisher kennen gelernt, immer alsein Wesen höherer Art behandelt worden und sich dafür anerkannt hatte; dieErscheinung des Prinzen war ihr aber so heilig rein, wie der Körper desAllerheiligsten in der Messe, vorübergegangen, zu schnell, um ihreBetrachtung zu wecken. In solchem Mädchen, das so mächtig von derPhantasie in allen Segeln angehaucht wird, soll gleichzeitig derübermännliche Mut wohnen, nachts in der eilften Stunde mit einem schwarzenHunde unter den Galgen zu gehen, wo ein unschuldig Gehenkter seine Tränenaufs Gras hat fallen lassen; da soll sie ihre Ohren mit Baumwolle wohlverstopfen und mit den Händen suchen, bis sie die Wurzel erreicht, undtrotz allem Geschrei dieser Wurzel, die keineswegs natürlicher Art,sondern ein Kind der unschuldigen Tränen des Erhenkten ist, ihr das Hauptentblößen, einen Strick aus ihren eignen Haaren umlegen, den schwarzenHund daran spannen, dann fortlaufen, so daß der Hund, im Wunsche ihr zufolgen, die Wurzel aus der Erde zieht, wobei er von einer erblitzendenErschütterung des Bodens unfehlbar erschlagen wird. Wer in diesemAugenblicke, dem entscheidendsten, seine Ohren nicht wohl verstopft hat,kann von dem Geschrei auf der Stelle unsinnig werden. Bella war wiederumdie einzige seit Jahrtausenden, bei der sich alle diese Erfordernissevereinigten; wer war unschuldiger, als das teure Haupt ihres VatersMichael, der in rastloser Tat für sein armes Volk, in steter Mühe und Notfür die Seinen, um das Unbedeutendste einem Reichen zu entfremden, allzuehrlich und stolz gewesen war. Welches Mädchen hätte Mut gehabt, in derMitternacht einen solchen Weg mit Überlegung zu machen, als Bella, die nunschon seit vier Jahren, wo ihre Mutter gestorben, ein verstecktes,nächtliches Leben geführt hatte und mit dem Laufe des Mondes, mit denSternen zu vertraulich bekannt war, um in der Nacht noch eine besondreEinsamkeit und Traurigkeit wahrzunehmen. Welches Mädchen hatte wie sieeinen schwarzen Hund, aus dessen Augen mehr blickte, als sein Mundausbellen konnte, und wiederum welchem Mädchen war dieser einzigeGesellschafter so verhaßt, wie ihr, die ihn seit früher Zeit, wo er siegebissen, nicht leiden konnte und ihn jetzt noch mehr verachtete, nun erihr mit einer widrigen Demut diente und sie doch auf allen Wegen belauerteund, wenn sie recht zärtlich mit einer Puppe aus alten Kleidern wie mitdem Prinzen sprach, sie auslachte; auch hatte der Vater immer behauptet,es stecke der böse Feind in dem Hunde. Welches Mädchen hatte endlich solanges Haar, wie Bella, um es zu Stricken flechten zu können, und welchemochte es, wie sie, ruhig zu dem Versuche hingeben; sie aber wußte nichtsvon ihren Schönheiten, es war ihr lieb, daß sie künftig nicht so lange anihren Haaren zu kämmen hätte, und so sank ihr Haar, in dessen glattenLocken sich oft die Sterne wie im Haupthaar der Berenize gespiegelt hatten,im raschen Schnitt einer Schere wie ein schwarzer Schleier auf den Bodenrings um sie her, ihrem Hund Simson eine Kette daraus zu flechten, die ihmden Tod brächte. Sie merkte bald, daß er alles, was sie gesprochen,vernommen habe, denn statt daß er sich sonst kleine Vorräte an Knochen undBrot im Garten vergrub, so öffnete er jetzt nach und nach alle diesevergrabenen Schätze und fraß unersättlich. Hätte jenes sie rühren können,so empörte sie dies noch mehr; übrigens schien er nicht traurig, aber ersah sie spöttisch an, und als der erste Freitag kam, denn ein Freitag wirdzur Ausführung gefordert, durchkroch er das ganze Haus noch einmal, berochalle Winkel und führte sich in seinem Lager gegen seine Art unreinlich auf,welches sie ihm aber diesmal lieber verzieh als ihrer Alten dieLangweiligkeit, mit der sie in unendlichen Erzählungen von “hat er gesagt”,“hab ich gesagt”, ihre ganze verfluchte erste Liebschaft erzählte, dieBella leicht um eine der Hauptbedingungen bei der Aufsuchung derAlraunenwurzel hätte bringen können, wenn diese nicht aus Ungeduld überihre lange Anwesenheit im Zählen der Minuten sie und die Stunden überzählthätte, bis es zwölfe geschlagen: da sprang endlich Bella aus Ungeduld aufund fing mit der Alten aus Ärger, daß sie alles noch eine Wocheaufschieben müsse, den Kranichtanz der Zigeuner an, daß diese endlich ohneAtem in einen Sessel fiel und hustete und schwur, so lustig habe sie aufihrem Hochzeittage nicht einmal getanzt; dabei nahm sie ein StückLakritzensaft in den Mund, um den Husten zu dämpfen, und trabte endlichmit großem Bedauern fort, daß sie schon weggehen müsse. Etwas Angst hatteBella doch gespürt; nun die Woche versäumt war, schien es ihr doch besser,daß sie sich noch vorbereiten könne, und der schwarze Hund schien nichtminder diese Frist zu wünschen, um noch recht essen zu können; siegewährte ihm gerne die leckersten Bissen, weil sie wußte, was er für sietun müsse, ja zuweilen, ungeachtet ihres Widerwillens gegen das Tier,kamen ihr bei seinem Anblicke Tränen in die Augen, doch tröstete sie sichimmer mit dem Zusatze im Zauberbuche, daß treue Hundeseelen, die insolchem Geschäfte blieben, zur Seele ihrer Herren gelangen, und sie wargewiß, daß sich der Hund beim Vater Michael besser als bei ihr gefallenmüsse. Endlich kam der zweite Freitag, es war schon kalt geworden, die ruhigenGewässer waren dünn befroren, und die Alte hatte sich bei ihr entschuldigt,daß sie in den nächsten Tagen nicht herauskommen könne: ihr Husten seiaber so stark, sie müsse sich heimhalten. Alles schien erwünscht, dieNachbarn waren alle nach der Stadt gezogen, die Nacht war dunkel, und derWind führte die ersten Schneeflocken über die trockene Erde. Belladurchlief noch einmal das Zauberbuch, ihr Herz schlug heftig, als eslangsam eilf schlug, der schwarze Hund schleppte ihre Puppe, in der sieihren Prinzen sah und verehrte, herbei, zerrte und biß darin: das brachtesie zum Entschluß; diesen Schimpf, den er ihrem Liebling angetan, mußte erbüßen; schnell nahm sie die Stricke, die sie aus ihren Haaren geflochtenund die sie bisher, um der Alten keinen Argwohn zu geben, auf ihrem Kopfgetragen, und schlug auf ihn. Er wollte zur Türe hinaus, sie öffnete dieTüre, und beide waren in die zauberhafte Winterwelt hinausversetzt undgingen dem Winde nach ihren Weg, ohne ihn zu kennen, bloß nach derRichtung, um den Berg zu erreichen, auf welchem das Hochgericht gehaltenwurde. Diese Straße war leer von Menschen, aber mehrere Hunde kamen mitgroßem Lärmen unter den Gartentüren hervorgesprungen, liefen auf denschwarzen Simson los, aber im Augenblicke, wo sich diese Philister ihmnaheten, sah er sie an, zeigte seine Zähne, und die größten wie diekleinsten Hunde flüchteten mit einer Angst, den Schwanz zwischen denBeinen, in die Gärten zurück, daß sie sich selbst unter den Türeneinklemmten und erbärmlich schrien. Gleiche Angst zeigten ein paarStachelschweine, die ihre Stacheln voll Äpfel und Birnen, die sie sich inden Gärten angewälzt und angestachelt hatten, quer über den Weg zogen,sich aber bei dem Anblicke des Hundes zusammenkugelten, daß dieser ihnenihre Beute sehr behaglich abnahm und verzehrte. Bella hatte sich dabeiausgeruht, nun war es ihr aber sonderbar, daß, wie sie jetzt aufstand undsich dem Berge näherte, ein anderer immer in ihre Fußtapfen zu schreitenschien, und zwar mit solcher Sorgfalt, daß er mit der Spitze seines Fußesjedesmal die Ferse des ihren anrührte, sie wagte nicht umzusehen und liefimmer hastiger zu, bis ein Schlag vor den Kopf sie niederstreckte. DerSchlag war indessen nur wenig betäubend, sie faßte Mut, als alles umherstill war; sie faßte um sich, als niemand sie anfaßte, und fühlte, daß siegegen einen herabgelassenen Schlagbaum angerannt war; was aber in ihreSchritte so eilfertig getreten, war ein Dornstrauch, der sich an ihr Kleidgehängt hatte. Sie mußte sich über ihre Furcht verwundern und nahm sichvor, jetzt aufmerksamer und besonnener zu sein, und vergaß es doch baldwieder, als eine Zahl von Pferden, die in einer Koppel lagen, bei ihrerAnnäherung aufsprangen und über Busch und Hecken fortjagten. Jetzt warsie oben, und sie sah über die reiche Stadt hin, wo noch manches Lichtbrannte ein Haus war aber hell erleuchtet, und da, meinte sie, müsse derPrinz wohnen: so hatte ihr die Alte sein Haus beschrieben, und sie wußte,daß sein Geburtstag gefeiert wurde. Sie hätte alles bei dem Anblickevergessen, selbst die trocknen Gehenkten über sich, die einander fragendanzustoßen schienen, hätte nicht der schwarze Hund aus eigener Lust unterdem Dreifuße gegraben. Sie fühlte, was er gefunden, und hatte eine kleine,menschliche Gestalt in Händen, die aber mit beiden Beinen noch in derErde wurzelte; sie war’s, sie war’s, die geheimnisvolle Mandragora, dasGalgenmännlein, sie hatte es gefunden ohne Mühe, und in einem Halsumdrehenwar der Strick ihrer Haare umgelegt und um den Hals des schwarzen Hundesangeschirrt; dann lief sie in Angst wegen des Geschreis der Wurzel fort.Sie hatte vergessen, ihre Ohren zu verstopfen, lief nun, so schnell sievermochte, und der Hund ihr nach; er riß die Wurzel aus dem Boden, und einerschrecklicher Donnerschlag stürzte ihn und Bella nieder; doch hatte ihrsichrer, schnellfüßiger Lauf sie schon funfzig Schritte entfernt. Das hatte Bellas Leben errettet; doch blieb sie lange ohnmächtig underwachte erst, als schon die beglückten Liebhaber von ihrem Glücke lässigheimkehrten, einer von diesen sang ein jauchzendes Lied von seinem feinenLiebchen und von den falschen Zungen, die heimliche Liebe ausschwätzen;halb hatte er dabei Schlummer in den Augen, und so kam es, daß er sieübersah. Als sie davon erwachte, wußte sie nicht, wie sie an diesen Ortgekommen, den sie nicht mehr erkannte; schwach richtete sie sich auf undsah im ersten Morgenschimmer ihren toten Simson. Sie erkannte ihn,erinnerte sich auch allmählich, warum sie hergekommen, und fand an denHaarflechten, die sie jetzt dem Hunde abnahm, ein menschenähnliches Wesen,gleichsam einen beweglichen Umriß, aus welchem die edlen Sinne noch nichthervorgetreten sind, ähnlich einer Schmetterlingslarve: so war der Alraun,und wunderbar ist es zu nennen, wie sie auf der einen Seite des Prinzengar nicht mehr denken konnte, der eigentlichen Ursache, warum sie denAlraun aufgesucht, ganz vergessen hatte, so liebte sie diesen auf derandern Seite mit jener ersten Zärtlichkeit, welche zart durchdringend seitjener Nacht, wo sie den Prinzen gesehen, in ihr zur Erscheinung gelangtwar. Zärtlicher kann eine Mutter ihr Kind, das sie bei einem Erdbebenverschüttet glaubt, nicht wieder begrüßen, nicht vertrauter, nichtbekannter, als Bella den kleinen Alraun aus dem letzten Erdenstaube anihre Brust hob und ihn von allem Anflug reinigte. Er schien von dem allennichts zu wissen, sein Atem strömte aus kaum bemerkbaren Öffnungen desKopfes, nur als sie ihn eine Zeitlang auf ihren Armen gewiegt hatte,bemerkte sie an einem ungeduldigen Stoß seines Armes gegen ihre Brust, daßer diese Bewegung liebe; auch beruhigte er Arme und Beine nicht eher, bissie ihn wieder mit schaukelnder Bewegung erfreulich einschläferte. Soeilte sie mit ihm in ihre Wohnung zurück; sie achtete nicht desHundegebells, nicht einzelner Marktleute, die sich früh vor den Toren derStadt sammelten, um die ersten bei der Eröffnung der Tore zu sein; sie sahnur auf den Kleinen, den sie sorgsam in ihren Überrock eingeschlagen hatte.Endlich war sie in ihrem Zimmer, hatte ihr Licht angezündet und besahdas kleine Ungeheuer. Es tat ihr leid, daß er nicht einen Mund zum Küssen,nicht eine Nase habe, die ein göttlicher Atem herrschend und sanftgeformt, daß keine Augen sein Inneres kund machten und daß keine Haare denzarten Sitz seiner Gedanken umsicherten; aber ihre Liebe minderte dasnicht. Sie ging sorgsam zu ihrem Zauberbuche, um sich wieder zu erinnern,was mit dieser gegliederten und beweglichen Rübe anzufangen sei, um ihreKräfte, ihre Bildung zu entfalten, und sie fand es bald. Zuerst solltesie den Alraun waschen, das vollbrachte sie, dann sollte sie ihm Hirse aufden rauhen Kopf säen, und wie diese aufginge in Haaren, so würden sichseine übrigen Gliedmaßen von selbst entwickeln, nur müsse sie an jedeStelle, wo ein Auge entstehen sollte, ein Wacholderkorn eindrücken, woaber der Mund werden sollte, eine Hagebutte. Zum Glück konnte sie dieseSämereien alle herbeischaffen, die Alte hatte ihr neulich einige gestohlneHirse gebracht, Wacholderbeeren brauchte ihr Vater häufig zum Räuchern inseinem Zimmer; sie hatte den Geruch nie leiden können, jetzt war er ihrlieb, denn es war noch eine Handvoll übriggeblieben; eineHagebuttenstrauch hing im Garten noch voll roter Früchte als die letztePracht des Jahres. Alles wurde herbeigeschafft, zuerst die Hagebutte anden rechten Ort eingedrückt, sie merkte aber nicht, daß sie ihm diese baldaus Liebe schief küßte; dann drückte sie ihm zwei Wacholderbeerkerne ein,es schien ihr, als sähe der Kleine sie an, das gefiel ihr so wohl, daß sieihm gerne ein Dutzend eingesetzt hätte, wenn sie nur einen schicklichenPlatz dazu hätte ausfinden können; aber wo sie ihm am liebsten Augeneingesetzt hätte, hinten, da fürchtete sie, möchte er sich oft wehe darantun; zuletzt brachte sie noch ein Paar Augen in seinem Nacken an, und wirmüssen ihr eingestehn, daß diese Erfindung nicht ganz zu verachten gewesensei. So fröhlich und ernstlich zugleich begann sie dies Werk, ein Wesenzu schaffen, das, wie der Mensch seinen Schöpfer, bis an sein Ende siebetrüben sollte; selbstzufrieden wie ein junger Künstler, dem alles überErwartung glückt, besah sie ihr kleines, unförmliches Ungeheuer undverbarg es in einer zierlichen Wiege, die sie im Hause vorgefunden,wohlbedeckt mit Betten, entschlossen, selbst gegen die alte Braka dies alsdas erste Geheimnis ihres Lebens zu bewahren. Braka, die sich am andern Abende durch ihr verabredetes Katzengeschreikund machte, merkte doch an ihr eine Veränderung und fragte listig nachallen Seiten, insbesondre als sie den schwarzen Hund nicht mehr bemerkte:“Gott sei gelobt, ist der Hund fort! wie ist’s gekommen? Ich hätte deninfamen Köter längst tot gemacht, wenn ich gedurft hätte; aber da er vomVater hinterlassen war, so durft’ ich nicht; einmal hatte ich ihn dochschon im Sack und wollte ihn ersäufen, da biß er mich aber beim Aufhebendes Sacks so scharf in die Hände, daß ich ihn mit dem Sack laufen ließ:nun sag, Kind, wie hast du es angefangen, ihn über die Seite zu schaffen?” Bella sah seitwärts auf ihre Arbeit nieder, sie schälte Äpfel und erzählterecht umständlich, wie sie nachts im Garten gewesen, wie ein schäumenderHund dort gegen sie angerannt sei, wie sich ihr schwarzer Simson auf ihngestürzt und beide einander so grausam zerzaust und herumgerissen, bis derfremde Hund sich geflüchtet hätte, worauf der Simson lahm und blutend ihmnachgelaufen und seit der Zeit von ihr nicht wieder gesehen worden sei,vielleicht weil er gefühlt, daß er toll werde, und sie nicht habeverletzen wollen. Eine recht rührende Erfindung! Bella hatte sie sowahrscheinlich vorgetragen, ungeachtet es ihre erste Lüge war, daß Brakaberuhigt war und sich in Verwunderung über das treue Tier und über dasgroße Unglück, dem sie entgangen, ausließ. Nun hatte Bella Mut, ihr alleseinzubilden, was sie künftig von ihrem Wurzelmännchen zu sagen nötigfinden würde; doch wartete sie ungeduldig, daß die Alte ginge, denn siefühlte eine rechte Unruhe, ob noch nichts Lebendiges an ihm wahrzunehmensei. Nachdem die Alte ihr Zwiebelgericht, das sie sich bereitet, ausgetunkthatte, ging sie endlich von dannen. Bella schloß die Türe und eilte zuihrer heimlichen Wiege; zagend deckte sie auf und freudig sah sie schondie keimende Hirse auf dem Scheitel des Wurzelmännleins, auch dieWacholderkerne hatten sich schon angezogen; es war überhaupt ein Bewegeninnerlich in dem kleinen Wesen, wie frühlings im Acker beim ersten heißenSonnenscheine nach dem Regen, es wächst noch nichts, aber die Erde trenntsich und lockert sich, und wie die Sonnenblicke alles fördernd umgehen, soregte sie küssend alle Kräfte der geheimnisvollen Natur auf. Erst nachspäter Ermüdung entschloß sie sich, neben ihrem Kleinod schlafen zu gehen,ihre Hand aber ließ sie auf der Wiege ruhen, daß es ihr nicht entführtwerden könnte. Was wundern wir uns über ihre sonderbare Neigung zu derhalbmenschlichen Gestalt, nachdem sie zu dem schönen Fürstensohne soausschließliche Neigung gezeigt hatte; es ist das Heiligste, dieseAnhänglichkeit an alles, was wir schaffen, und ruft uns, während wir vorden Häßlichkeiten der Welt und unsren eignen erschrecken, die Worte derBibel in die Seele: Also hat Gott die von ihm geschaffene Welt geliebet,daß er ihr seinen eingebornen Sohn gesendet hat. O Welt, bilde dichschöner aus, daß du dieser Gnade würdig werdest. Vergessen war in ihraller Eigennutz, wie sie sich durch den kleinen Wundermann zu ihremgeliebten Prinzen wollte hintragen lassen; dieses Wunderkind, in Gefahrerrungen, füllte jetzt alle ihre Gedanken, von ihm träumte sie, aber ihreTräume waren nicht glücklich; sie sah den vergessenen Fürstensohn vor sich,wie er im Wettstreite mit andern das zierliche Pfeilspiel der Spanierübte, worin sie durch die Stärke und Schnelligkeit des Wurfs sowohl wiedurch die geschickte Wendung der Pferde einander zu necken und zuübervorteilen suchen, aber der Prinz siegte über alle, seine Pferde rissenSterne vom Himmel und warfen sie wie zierlichen Schmuck ihr auf die Brust.Die meisten dieser Sterne verlöschen, einer aber bebte in tiefem Lichteauf der Mitte ihrer Brust; und sie sah immer tiefer hinein, unendlichtiefer und konnte sich nicht satt sehen, und darüber erwachte sie. Kaumwar sie erwacht, so wußte sie nicht mehr, nach wem sie sich so eifriggesehnt hatte; ihr war es, als sei es der kleine Wurzelmann gewesen, densie mit lautem Jubel begrüßte, als er ihr ganz vernehmlich wie ein kleinesKind entgegenwimmerte, mit runden schwarzen Augen sie ansah, als wolltensie ihm aus dem Kopf herausfallen; sein gelbfaltiges Gesicht schienentgegengesetzte Menschenalter zu vereinigen, und die Hirse auf seinemKopfe hatte sich schon zu borstigen Locken vereinigt, so auch, was aufseinen Körper von den Hirsekörnern heruntergefallen war. Bella meinte, erschreie nach Essen, und war in großer Verlegenheit, was sie ihm gebensollte, wo sollte sie Milch hernehmen? Sie bedachte sich lange; endlichgedachte sie der Katze, die auf dem Boden gejungt hatte, ein Jubel war ihrdiese Erfindung; die Jungen wurden heruntergeholt und zu demWurzelmännlein, das sie schon spöttisch ansah, in die Wiege gelegt; dieKatze ernährte jetzt willig ihn mit den übrigen Jungen, und die kleinenBlindgebornen duldeten es, daß der nach allen Seiten sehende Fremdlingihnen voraus, ohne daß es die Alte merkte, die mütterliche Vorsehungaussog. Bald kniend, bald auf den Knien hockend konnte Bella stundenlangdiesen Listen ihres Männleins zusehen; wo er die andern überlistete,schien es ihr hohe Überlegenheit, wo er sich feig vor ihren Tatzenzurückzog, Schonung und Klugheit; nichts machte aber dem Mädchen so vielFreude an ihm wie die Augen im Nacken. Schon verstand er sie damit, wennsie ihm winkte, wo eines der Kätzchen von dem Zitzen heruntergefallen war,und legte sich vor, bis er auch daran kommen konnte. Ihre Zuneigung wuchsso schnell, daß sie sich aber jeden Tropfen Milch kränkte, der von deneingebornen Jungen dem Fremdlinge entzogen wurde, daß sie lange mit sichkämpfte, aber endlich nicht widerstehen konnte, eines dieser Jungenheimlich fortzutragen und nahe am Bach ins Gras zu legen. Dann floh sieschnell, damit es ihr nicht folgte, sie war aber kaum einige Schrittegelaufen, so hörte sie etwas ins Wasser einplumpen, sie mußte ihre Augenhinwenden und sah, wie der Strom die kleine, blinde Katze forttrug. Dasjammerte ihr, sie gedachte ihres unschuldigen Vaters, der denselben Weggezogen, sie hätte nachspringen mögen, doch blieb sie am Ufer stehen undfühlte, daß sie gesündigt; der Himmel ward dunkel über ihr, die Erdefrostig unter ihr und die Luft unstet um sie her; sie schlich ins Haus undweinte. Und als der kleine Wurzelmann mit den Augen im Nacken dies ersah,fing er an der Brust der Katze laut zu lachen an, daß die Katze aufsprangund eins der Jungen mit sich fortzog, das sich ihr in Angst angebissenhatte. Jetzt war das Wurzelmännchen auch so mutwillig geworden, daß essich nicht viel um die milde Nahrung der Milch kümmerte, zwar sah es schonaus wie ein altes Männlein, das zum Kinde zusammengeschrumpft war, aber eshatte noch alle Unarten der kleinsten Kinder dabei. Gerade weil es sah,daß Bella über den kleinen Mord mit ihm zürnte, drängte es sich immer mehrzu ihr, und schlagen konnte sie es nicht, und was sollte sie da tun, alses küssen und ihm den Willen lassen, der sich durch Hingreifen nachallerlei Wurzeln zeigte, die nicht von ihrem Vater her im Zimmer soumherlagen, sondern von der alten Braka bei ihrer Mauserei aus Unkenntnisweggeworfen waren. Kaum hatte das Männlein eine Springwurzel genossen, sofing es an so lächerlich über Tisch und Stuhl, kopfüber, kopfunter zuspringen, daß Bella in Angst die Augen wegwenden mußte und ihm ängstlichwie ein Huhn dem ausgebrüteten Entchen nachlief und nachsah, wie sie ihnnirgend fassen und erreichen konnte. Listig wußte er bald an allen Eckenaufzusuchen, was ihm diente, so fand er bald auch die Sprechwurzel, welchedie grünen Papageien vom höchsten Gipfel des Chimborasso in die Ebenenbringen, wo sie die Baumschlangen von ihnen gegen Äpfel eintauschen, dieam verbotnen Baume gewachsen; wer sie aber den Schlangen abjagt, das kannallein der Teufel, und sie von dem zu bekommen, ist schwer und hat schonmanchen ehrlichen Erzieher in Verlegenheit gesetzt. Als er dieseekelhafte Wurzel gierig genossen, sprang er auf einen Ofen, und wie einVogel, dem die beschnittnen Flügel wiedergewachsen, zur Verwunderungseines Herrn plötzlich empor auf den Baum vor dem Fenster fliegt und erstspottend sein Lied pfeift, das er von ihm gelernt, eh er sich von ihm fortim wilden Natursang durch die Luft schwingt, so waren die ersten Worte desMännleins ein spottendes Wiederholen ihrer Lehren: “Sei artig, sei gut,sei stille!” Er konnte nicht aufhören, ihr das vorzusagen; sie hätte ihn gerngezüchtigt, aber er saß ihr zu hoch. Zuletzt, um ihre Geduld ganz zuerschöpfen, setzte er sich eine alte, verrostete Brille auf und fabelte inleeren, spottenden Einfällen von allerlei Neckerei, die er der Welt antunmöchte, um sich zu unterhalten. Da mußte sie laut weinen und konnte nichtmehr hinaufsehen, denn das Vertraulichste am Menschen sind die Augen, undes ist wohl zum Verzweifeln, wenn die Schwäche der Natur solchen harten,fühllosen Glasglanz zwischen dem geliebten Menschen und uns notwendigmacht, und das kann den Scharfsehenden schwindlig machen, wenn er sehenmuß, wie der Sinn, der sonst seine Freude nur in Luft und Licht sucht,jetzt die harte Gewalt der Erde zu seiner Hilfe brauchen muß, die ihnnotwendig mit sich herabzieht und vernichtet. Eine Brille ist dasschrecklichste Gefängnis, aus welchem die ganze Welt verändert erscheint,und nur die Gewohnheit kann den Schreck vor dieser Welt, wie sie dadurcherscheint, aufheben. Wirklich erschrak jetzt Bella bis im tiefsten Herzenvor dem Liebling, der im Luftraume ihrer Schöpfung vergöttert gewesen, siesah ein, daß sie auf ein Mittel denken müsse, den Alraun zu bezwingen, undnahm sich vor, darüber mit Braka zu reden. Als sie das still in sichbeschlossen hatte, rief ihr das Männlein vom Gesimse des Zimmers zu: “Hör,Bella, ich habe dich eben mit den Augen in meinem Nacken angesehen, daahndet mir, du hast mich nicht mehr so lieb wie im Anfange, und wenn ichdas gewiß weiß, so ist’s um dich geschehen!” Bella erschrak wie eine überwiesene Sünderin, diese Allwissenheit odervielmehr dieses ahndende Augenpaar in dem Kleinen setzte sie inVerzweifelung, die Angst befestigte in ihr den Entschluß, sich des kleinen,furchtbaren Teufels zu entledigen. Er rief dabei vom Gesimse: “Mirahndet, du hast etwas Böses mit mir vor, aber ich will dich schon wiedergut machen.” Zugleich stieg er herunter, sprang zu ihr auf den Schoß und küßte sie soherzhaft, daß er ihr fast die Haut aufriß mit seiner harten Barthirse,dennoch fühlte sie eine sonderbare Bewegung ihres Blutes, die sie nichtverstand, über die sie auch nicht nachdachte; doch war ihr der Kleine imAugenblicke so lieb, und sie erwartete und wußte nicht, was, von ihm. Eine Woche später, und der Alraun war in seiner Art völlig ausgewachsen,etwa dreieinenhalben Fuß hoch; Braka hatte schon etwas von ihm gemerkt,auch hatte er nicht Lust, sich länger einsperren zu lassen, wenn sie kam,vielmehr wollte er sich der Alten recht glänzend zeigen, zog einsilbergesticktes, altes Faltenkleid von Bellas Mutter an, das ihm Bellanach allen Seiten aufnähen mußte: so saß er eines Abends ganz ruhig in derEcke und schien zu lesen, als Braka eingelassen wurde. Bella sagte, essei ihre Base, ein sehr reiches Mädchen, die sie zu sich nehme, die auchBraka beschenken wolle. Braka, die ihr Kompliment auch zu machen verstand,wo sie es nötig glaubte, griff der vermeinten Base nach der Hand, um siezu küssen, war aber doch etwas verwundert über die harte, trockene,haarige Wurzelhand und zögerte mit dem Kusse. Darüber wurde derWurzelmann böse und gab ihr eine derbe Maulschelle. Braka konnte sich insolchem Falle nicht mäßigen, sie stemmte beide Hände in die Seite und fingso heftig an zu schimpfen, daß die lachende Bella sie kaum mit derVorstellung beruhigen konnte, die Nachbarn möchten sie hören, und dannwäre ihr Zufluchtsort auf einmal verraten. Der Alraun hatte sich aberdurch die Schimpfreden nicht weniger in der guten Meinung gestört gefunden,er sprang sehr geschickt auf und rings um Braka her und verfolgte sie mitunzähligen Fußtritten; dabei fiel ihm der Schleier herunter, sie erkannteihn gleich für das, was er war, und demütigte sich erschrocken vor ihm.Als er sie in Ruhe ließ, setzte sie sich ganz zerschlagen auf einen Sesselund rief einmal über das andre: “Ach, Bella, was hast du für ein Glück,solch ein Männlein zu haben, das alle Schätze finden und heben kann, ja dahatte mein Schwager einen, den nannte er Cornelius Nepos.” “So will ich auch heißen”, rief der Kleine, “wo ist der geblieben?” “Ach”, sagte Braka, “mein Schwager wurde erstochen, das Männlein wurde inseiner Tasche gefunden und den Kindern zum Spielen gegeben, die brachtenes einem Schweine, das hat’s aufgefressen und ist davon krepiert.” Der kleine Herr Cornelius wurde darüber sehr aufgebracht, er verbot essehr strenge, ihn nicht den Schweinen vorzuwerfen, und ließ sich erklären,was dies für ein Tier sei. Braka wollte ihm erst beweisen, daß er sich umdie Welt und was darin fresse, gefressen werde und sonst vorgehe, garnicht zu bekümmern habe, er müsse Schätze graben und sich um weiter garnichts bekümmern; als aber der kleine Cornelius wieder sehr grimmig wurde,suchte sie ihn zu besänftigen, indem sie ihm allerlei hohe Ämter vorschlug,die er verwalten könnte. Es war, als wenn er schon einmal gelebt hätte,so schnell wurde er durch eine kurze Erinnerung mit allen menschlichenVerhältnissen bekannt. Bei verwachsenen Kindern findet sich häufig einAnsatz zu dieser fatalen Gescheitheit. Nichts unter allem, was Braka ihmvon dem schönen Leben eines Kuchenbäckers oder Kellermeisters vorschwatzte,reizte ihn so mächtig als ein Kommandostab, wenn er in glänzender Rüstung,wie in dem Schlosse ein Feldmarschall abgebildet war, vor tausend Ritternan dem Hause vorüberreiten würde und ihren Gruß annehmen, ja er befahl,ihn im Hause nicht anders als Marschall Cornelius zu nennen und ihm dazueine Rüstung zu schaffen. “Dazu gehört Geld”, sprach die listige Braka,“umsonst ist der Tod, Geld, Geld schreit die ganze Welt.” “Dafür laßt mich sorgen”, sagte der Kleine, “ich sitze hier so unruhig, esmuß hier in der Ecke der Mauer ein Schatz versteckt sein.” Mit ihren Nägeln hätte Braka die Steine ausgerissen, wenn sie kein anderWerkzeug hätte finden können, jetzt aber lag die eiserne Ofengabel ihrrecht angenehm zur Hand vor der Türe, sie war im Augenblicke damit bei derArbeit; ein Glück, daß der Schatz nur mit einem Stein vermauert war, alleFußtritte des Marschalls hätten sie nicht abgehalten, das Haus zudurchbohren; auch ließ sie sich durch das Kratzen und Beißen des Männleinsnicht abhalten, den Kasten voll guter Gold- und Silbermünzen in Beschlagzu nehmen. Sie setzte sich darauf und hielt dann ihren feierlichenVortrag: “Liebe Kinder, Jugend hat keine Tugend, Kinder-und Kälbermaßwissen alte Leute, ihr wißt beide noch nicht mit Gelde umzugehen, ihrwäret verloren und kämet gleich in die Hände der argwöhnischen Gerichte,wenn ich euch nicht mit Rat zur Hand ginge; darum hört meine Meinung, wasihr tun müßt, damit wir in aller Sicherheit des Schatzes froh werden. Hör,Bella, du hast mich oft Mutter genannt, das will ich nun in der Weltvorstellen, in die ich dich einführe; du aber, Cornelius, mußt dich alsmein Neffe, als Vetter meiner lieben Bella, artig aufführen, so kannst dumit uns vertraulich zusammenwohnen, wir können dich einem vornehmen Kaiserirgendwo empfehlen, daß er dich zu seinem Marschall macht; eine Rüstungkönnen wir dir gleich kaufen, auch einen Degen und Helm und einenStreithengst, da wirst du eine rechte Freude an dir haben, da werden dieLeute auf der Straße mit Fingern auf dich weisen und sprechen: Das ist derherrliche junge Ritter, der Feldmarschall, der kühne Haudegen. DieMädchen werden niedersehen, und du wirst dir den Schnauzbart in die Höhestreichen und mit einem gewognen Nickkopfe vorbeireiten.” Hätte Cornelius sich umgewendet, so hätte er ihre Falschheit wohl sehenkönnen, aber ihm war, seit er lebte, noch nicht so wohl geworden, als indiesen Worten der Alten; er sprang ihr auf den Schoß und herzte und küßtesie, daß Bella aus Eifersucht ihn packte und, statt zu küssen, ihn biß.Er verstand keinen Spaß in so etwas, es hätte viel Streit geben können,wenn nicht die Alte mit Beratschlagung, was nun anzufangen, hervorgetretenwäre: “Schlagt euch ein andermal, wenn mehr Zeit dazu ist, heute muß einEntschluß gefaßt werden, wohin wir gehen, um mit Ansehen in Genteinzufahren! Da habe ich eine alte Diebshehlerin in Buik gekannt, dieschafft am ersten Rat und was wir brauchen, eine Staatskutsche, worin wirden Herrn Cornelius fahren, als ob er in einem Zweikampfe verwundet wordensei und nur allmählich genese.” “Nein”, sagte das Männlein, “das will ich nicht spielen, es könnte mirwirklich so gehen, und warum soll ich mich nicht sehen lassen?” “Ach”, seufzte Braka heimlich, “der ist auch einer von den Bucklichten,die nicht begreifen können, womit sie ihre Hemden zerreiben”; laut abersprach sie: “Seht nur, Herr, so auf einem Dorfe sind nicht gleichritterliche Kleider zu bekommen, die Eurer würdig sind, auch müßt Ihr Haarund Bart sorgsam beschneiden lassen, die Leute meinen sonst, ihr wärt derBärnhäuter.” “Vielleicht bin ich auch von den Seinen”, sagte Cornelius, “wer ist es, wolebt er?” “Erzähl uns von ihm”, bat Bella, “diese Nacht ist fast vergangen, heutkönnen wir noch nicht scheiden, und morgen will ich noch Abschied nehmenvon allem, was mir im Hause lieb.” “Erzähl”, sagte der Kleine, “oder ich schlage dich.” Braka hub also an,indem sie die Öllampe zur Seite stellte und ihr Schnupftuch immer auseiner ihrer Hände in die andre strich: Geschichte des ersten Bärnhäuters “Als Sigismund, der Ungersche König, von dem Türken geschlagen worden, istein deutscher Landsknecht aus der Schlacht in einen Wald entronnen; da ernun keinen Weg fand, keinen Herren, kein Geld hatte, an keinen Gottglaubte, so erschien ihm ein Geist und sagte ihm, wenn er ihm dienenwollte, so wollte er ihm Gelds genug geben und ihn selbst zu einem Herrenmachen. Der Landsknecht sagte: “O ja, er sei es zufrieden.” Nun wollteaber der Geist wissen, ob er wohl einen rechten Heldenmut habe, damit ersein Geld nicht umsonst ausgebe, und führte ihn an das Lager einer Bärin,die Junge hatte, und als diese gegen sie ansprang, befahl er demLandsknecht, ihr auf die Nase zu schießen. Der Landsknecht vollführte dastreulich, schoß ihr in die Naselöcher zwei Posten hinein, daß sie stürzte.Da solches geschehen war, fing der Geist an mit ihm zu unterhandlen:“Zieh die Haut der Bärin dir ab, du wirst sie brauchen, gut für dich, daßdu kein Loch hineingeschossen, denn soll ich dich reich machen, so mußt dumir sieben Jahre darin, als in meiner Livrei, dienen, mußt in den siebenJahren alle Nacht eine Stunde um Mitternacht bei meinem SchlosseSchildwach stehen, mußt in den sieben Jahren dir niemals Haar und Bart undNägel weder abschneiden noch reinigen, dich auch nie waschen, abreiben,abstäuben und einsalben; in den sieben Jahren sollst du bei Tage freiLicht, bei Nacht mit Abwechseln Mondschein, Sternenschein und nichts habenals guten Wein zum Trinken, Kommisbrot zum Essen; auch sollst du in derZeit kein Vaterunser beten.” Der Landsknecht ging alles ein und sagte zumGeist: “Alles, was du mir zu unterlassen befiehlst, habe ich mein Lebtagenicht gern getan, weder Kämmen, Waschen noch Beten; was du mir zu tunbefiehlst, soll mir bei einem guten Glase Wein nicht schwer werden.”Darauf zog er seine Bärenhaut über, und der Geist führte ihn durch dieLuft auf sein wüstes Schloß, das mitten im Meere liegt, woselbst er gleichseinen Dienst antrat. Sechs und ein halbes Jahr versah der Landsknecht inseiner Bärnhaut, wovon er den Namen des Bärnhäuters bekommen, seinenWachtdienst; Haar und Bart waren ihm dermaßen gewachsen und verfilzt, daßer von Gottes Ebenbildlichkeit wenig mehr übrig behielt; Petersilie warihm auf seiner Haut gewachsen, das sah gar erschrecklich aus.” Mit einem Schauder sah Bella bei diesen Worten die Hirse auf dem Kopfe desAlrauns, der sehr wohlzufrieden sie durch den Finger gehen ließ, seinerSchönheit gegen den unsaubern Landsknecht gewiß. “Als nun sechseinhalb Jahr um waren”, fuhr Braka fort, “trat der Geist zuihm, freute sich über sein Ansehen, sagte ihm, er brauche ihn nicht mehr,er wolle ihn wieder unter Menschen bringen, doch mit der Bedingung, daß ersich noch ein halbes Jahr in dieser seiner Verwilderung unter ihnen sehenlasse, zugleich wolle er aber mit ihm abrechnen und ihm den verdientenGeldschatz überantworten, er möchte sich damit lustig machen, so gut erkönnte. Dem Landsknecht war es doch lieb, wieder unter Menschen zu kommen,weil er das Sprechen fast verlernt hatte, er ließ sich vom Geist rechtvergnügt übers Meer nach Deutschland führen, nach Graubünden, weil es dortin damaliger Zeit am schmutzigsten auf dem ganzen Erdboden war. Dennochwollte ihn da kein Wirt aufnehmen, bis er eine Handvoll Dublonen und eineHandvoll Piaster einem ins Gesichte warf; der räumte ihm seine bestenZimmer ein, daß er die gewöhnlichen Gäste von dem Hause nichtzurückschrecken möchte. Als aber der Papst, der mit gemalten Bildern dieganze Christenheit regiert, durch Graubünden kam, von dem Konzilio nachRom zurückzureisen, da trat der Geist zu dem Bärnhäuter und malte seinZimmer mit allen merkwürdigen Menschen der Welt, sowohl denen, die gelebt,als die künftig noch leben werden, wie den Antichristen und das jüngsteGericht, worüber der Wirt sich nicht wenig verwunderte, aber dennoch denBärnhäuter zwang, die Nacht, wo der Papst bei ihm einkehrte, seine Zimmereinzuräumen und im Schweinestall zu schlafen, den Papst aber legte er indas vom Bärnhäuter schön gemalte Zimmer. Als der Papst am andern Morgenaufwachte, war das erste, daß er sich nach dem wunderbaren Malererkundigte, der das Zimmer so künstlich verziert habe. Der Wirt erzählteihm, was er von ihm wußte, und mußte ihn dann aus dem Schweinestallheraufkommen lassen. Der Papst aber grüßte ihn freundlich, fragte ihn,wer er wäre, und der Landsknecht nannte sich Bärnhäuter; darauf fragte ihnder Papst, ob er diese herrlichen Bilder gemalt? “Wer sonst?” sprach derBärnhäuter. Da rühmte ihn der Papst als den ersten Maler der Welt undsagte ihm, er habe drei natürliche Töchter, die er sehr liebe, die ältesteheiße Vergangenheit, die andre Gegenwart, die dritte Zukunft, wenn er ihmdie so malen könnte, daß er wüßte, wie jede nach einer Reihe von Jahrenaussähe, so wolle er ihm die zur Frau geben, welche ihm am besten gefalle.Der Bärnhäuter versprach alles in Hoffnung auf seinen Geist. Der Papstredete darauf weiter: “Du könntest mir aber leicht einbilden, daß sie sichalso verwandeln möchten, und wenn es nicht zuträfe, hättest du dochinzwischen meiner Tochter Liebe genossen, darum stelle ich dich auf eineProbe. Ich zeige dir nur meine jüngste Tochter Zukunft, und du mußt ausihrem Anblicke die beiden älteren, Gegenwart und Vergangenheit, malen;bestehst du diese, so ist das Mädchen dein, bestehst du sie nicht, soverfällt mir dein großes Vermögen, wovon mir der Wirt erzählt hat.”Bärnhäuter ging alles ein, lief neben dem Wagen des Papstes her und hieltihn, wenn er umfallen wollte, und so kamen beide ohne Schaden nach Rom.Gleich am Abend stellte ihm der Papst seine Tochter Zukunft vor, die sehrschön war, aber zweierlei Farbe von Haaren auf ihrem Kopfe trug;Bärnhäuter verliebte sich gleich, sie aber entsetzte sich über seinenAnblick. Als sie fort war, rief er seinen Geist, der mit einemFarbentopfe und einem Pinsel geflogen kam und die Bilder der beiden älternSchwestern sogleich anfertigte. Als Bärnhäuter das Bild der Gegenwartgemalt sah, vergaß er darüber der geliebten Zukunft und weinte, daß erdiese nicht bekommen könnte. Der Geist tröstete ihn und sprach: In einemhalben Jahre würde seine Braut dieser ähnlich und gleich sein, und sohätte er in diesem Bilde auch das vom Papste verlangte Bild, wie dieTochter in einer gewissen Zeit aussehen werde; in dem Bilde derVergangenheit werde er aber gleich sehen, wie die Gegenwart künftigaussehen müsse. Der Geist malte dieses Bild der Vergangenheit, und es gefiel demBärnhäuter nicht. Als dieser nun aber vom Geiste verlangte, er solle ihmdas Bild der Vergangenheit malen, wie sie künftig aussehe, da wischte derGeist seinen Pinsel auf der Wand aus und sagte: “Entweder so wie dieWolken, daß nichts zu erkennen, oder wie das Bild der Zukunft, das du imHerzen trägst, und das ich dir niemals gut genug malen würde!” Hierverschwand der Geist. Am Morgen zeigte der Bärnhäuter die Bilder demPapst, der sehr nachdenklich dabei wurde, ihn umarmte und seiner jüngstenTochter als Bräutigam vorstellte. Bärnhäuter war so voll Freude, daß ernicht sah, wie seine Braut weinte, als er seinen Ring, derauseinandergeschroben werden konnte, mit ihr teilte und ihr die Hälfte anden Finger steckte. Darauf nahm er Abschied, denn so hatte ihm der Geistin der Nacht befohlen ich hatte es zu erzählen vergessen -, und ritt nach Deutschland zurück, umdort in Graubünden sein siebentes Jahr noch auszuwarten; dann ging er nachBaden ins Bad, wo er zu seiner Reinigung über ein halbes Jahr beständig imWasser lag und mit groben Besen abgebürstet wurde; ein Dutzend Messerwurden stumpf, eh ihm der Bart und das Haar abgeschoren waren. Als dasbeendigt, schaffte er sich die kostbarsten Kleider an und eilte zu seinerGeliebten zurück. Diese war unterdessen in das Aussehen gerückt, was die Gegenwart damalshatte, sie war sehr schön, aber immer traurig, weil sie sich vor ihremBräutigam fürchtete und weil sie von den Schwestern, die keinen Mannbekommen, beständig seinetwegen geneckt wurde. Eines Tages rief einheller Trompetenschall alle drei Schwestern ans Fenster; es zog einschöner, fremder Ritter mit vielen Knechten in die Stadt, den sich diebeiden ältesten sogleich zum Mann wünschten, und, o Wunder, der Ritterhielt vor dem Hause still, ließ auch um Erlaubnis bitten, ihnenaufzuwarten. Sie bewilligten es gern, und er gab sich für einenentfernten Verwandten von ihnen aus, der eine von ihnen zu heiratenbegehre und sich deswegen durch einige Gaben empfehlen wolle. Die beidenältesten griffen begierig nach den Geschenken, die jüngste aber bliebeinsam wie ein Turteltäubchen; die beiden ältesten bemühten sich um seineGunst; sie gefielen ihm aber gar nicht mehr, die Gegenwart sah aus wiedamals die Vergangenheit, und die Vergangenheit hatte ein vermischtesGesicht wie eine Alabasterstatue, die lange unter der Traufe gestanden,die liebe Zukunft aber blühte in höchster Schönheit, ihre Haare glänztenin gleicher heller Farbe. Dennoch stellte er sich erst den beiden älterengeneigt, um die Sinnesart der jüngeren zu prüfen; als diese aber still undsittig blieb, während jene stolzierten, erklärte er sie für seine Braut,indem er ihr die andre Hälfte des Ringes am Finger anschraubte. Da wargroße Freude in der Verlassenen angezündet; der Papst erschien und segnetebeide ein. Als aber die Brautleute zu Bette gebracht worden, ergriff diebeiden älteren Schwestern eine Verzweifelung, daß sich die eine erhenkteund die andre in den Brunnen stürzte. In der Nacht trat der Geist, diebeiden toten Mädchen im Arm, zum letztenmal zum Bärnhäuter und sagte: “Duhast alles erfüllt, was du mir gesollt, ich bin im Vorteil, ich habe mirzwei, du dir eine Tochter geholt. Lebe wohl und bewahre deinen Schatz.” “Aber”, unterbrach sie der Alraun, “warum haben sich denn die Schwesternso geärgert, daß sie zu Bette gegangen sind?” “Weil sich die beiden geheiratet”, antwortete die Braka. “Was ist denn heiraten?” fragte der Alraun. “Das kannst du nicht begreifen”, sagte die Alte. Der Alraun wollte sich umdrehen, um mit seinen ahndenden Augen sie zuerforschen, aber im Augenblicke schrie er entsetzlich auf und sprang unterden Tisch, der Alten unter den vielgeflickten Rock. “Was ist dir,Scheusal?” rief die Alte, sah auch hin, wohin er gesehen, und warf sichschreiend über den Geldkasten, und Bella legte den Kopf ängstlich in denSchoß und wagte nicht aufzublicken. “Lebende Menschen”, sagte eine rauhe Stimme, “sind doch rechte Toren, dahören sie mit großer Freude meine schreckliche Geschichte an, und michselbst mögen sie nicht sehen. Wacht auf aus eurem Schrecken, oder ichschreie, daß die Balken unter und über euch biegen und brechen.” “Nun”, sagte der Alraun unter dem Rocke der Alten, “was will er,Bärnhäuter? ich will ihm zuhören.” “In welchem Mauseloche steckst du, kleiner Knirps?” fragte der Bärnhäuter. “Wo du großer Tölpel nicht stecken kannst”, sagte der Alraun; “machschnell, es wird mir sonst zu heiß hier, auch beißen mich dieSchmetterlinge, was willst du von uns, unsaubrer Gast?” “Ach”, sagte der Bärnhäuter, “ich habe mich bei Lebzeiten so sehr in meinGeld verliebt, daß ich den Rest hier vermauerte und dabei nach meinem TodeWache stehen muß, gebt mir mein einziges Vergnügen wieder heraus.” “Gib ihn hin”, flüsterte die Alte, “so dreht er uns nicht das Genick um.” “Nein”, rief der Kleine, “du kriegst keinen Heller heraus, du mußt ihnabverdienen, du bist aber ein starker Kerl, der uns nützlich sein kann,insofern du deinen Körper noch gehörig instand setzen, ausputzen undbeschlagen kannst, um damit auf Erden als unser Knecht zu erscheinen.” “Ach”, sagte der Bärnhäuter, “was den Körper anbetrifft, es sind bloß einpaar Verknöcherungen in den Adern gewesen, woran ich gestorben, die putzich mit einem scharfen Messer leicht weg, es ist mir nur eine verfluchteArbeit, so einem kleinen Stehauf, wie du bist, auf der Welt zu dienen: dasist auch noch eine harte Strafe für meinen Geiz.” “Ei was”, sagte der Alraun und kam unter dem Rocke der Alten hervor, “ichbin nicht eben zu klein, aber du bist zu groß, und ich weiß nicht, was mirlieber wäre; ein Kleiner kann sich einschmiegen und einkriechen, wo einGroßer nicht einmal hinriechen darf; kurz und gut, willst du mir treudienen, so zahl ich dir reichlich alle Woche einen Dukaten, bis deinSchatz wieder beisammen.” “Ich geh den Vertrag ein”, sagte der Bärnhäuter, “morgen Nacht komm ichmit meinem wirklichen Körper, wenn ich ihn in der Zeit fertig kriege,zurück, neben mir an ist der Diener eines vornehmen Herren begraben, mitdem will ich Kleider tauschen, so macht mein seidner Wams kein Aufsehen,und dem armen Teufel gönn ich die kleine Freude wohl, sich so stattlichbegraben zu finden, wenn er am jüngsten Tage aufsteht, er hat sich immerstill und ordentlich bis auf ein bißchen Schnarchen neben mir aufgeführt.” “Es ist gut”, sagte der Alraun, “das Weibsvolk hier hört dich noch garnicht sonderlich gerne, drück dich, Mensch!” “Nun adies”, sagte der Bärnhäuter, “es bleibt dabei, aber einen DukatenMietsgeld würde ich mir wohl ausbitten, ich habe den Totenwürmern allerleiKleinigkeiten versetzt, die ich wieder einlösen möchte.” “Da hast du”, sagte der Alraun und zog mit Gewalt einen Dukaten aus demHaufen, worauf die Alte lag (die ihm heimlich zuflüsterte: gib ihm dieHälfte, es ist auch genug), “da hast du den Dukaten, führ dich ordentlichbei mir auf, es soll dein Schaden nicht sein.” Der Bärnhäuter verschwand, es dauerte aber noch eine Weile, ehe Braka undBella aufzusehen wagten. Der kleine Cornelius lachte sie aus, und siekonnten sich einer gewissen Hochachtung gegen ihn nicht erwehren. “Wennuns der große Kerl nur nicht einmal mit all unserm Hophei davonläuft”,sagte Braka. “Wie kann er denn”, sagte der Alraun, “es ist ja eben seine große Not, daßer als ein Geist sein Wort halten muß; ihr Menschen braucht das nicht,wenn ihr euch nicht eurer Seele wegen nach dem Tode fürchtet.” “Bist du denn ein Geist oder ein Mensch, lieber Cornelius?” fragte Bella. “Ich”, stammelte der Alraun, “das ist eine dumme Frage, ich bin ich, undihr seid nicht ich, und ich werde Feldmarschall, und ihr bleibt, was ihrwaret, mit solchen verfluchten, spitzfindigen Fragen bleibt mir vom Halse,wenn man darüber nachdenkt, so zieht es einem Blasen im Gehirn, wie derMeerrettich auf der Haut.” “Woher weißt du denn das vom Meerrettich?” fragte Braka. “Als ich da oben stand unterm Galgen, da stand eine Meerrettichpflanzeneben mir, die tat sich immer viel darauf zugute, daß sie Blasen ziehenkönnte und daß die Augen bei ihr übergingen, das nannte sie ihre tragischeWirkung. Gute Nacht”, rief er zuletzt, “Braka, auf Wiedersehn! mach dichfort und besorg mir nur recht bald den Kommandostab.” Als er fortgegangen,beredete Braka alles, was noch zu ihrer Wanderung nötig, die auf dienächste Nacht unabänderlich festgesetzt wurde. Am andern Abende ging Bella noch einmal in den kleinen Garten; was sieerlebt, drängte sich ihr zusammen, jeder Zweig schien ihr bedeutend. DerNacht, wo sie den Erzherzog gesehen, erinnerte sie sich, er selbst war ihraber ganz entfallen, sie konnte sich nicht denken, wie er ausgesehn habe,auch schien ihr das wenig wert; sie freute sich in die Welt einzutreten,aber sie fürchtete, die sie umgaben, und das Gefühl, daß sie ihr zuschlecht wären, überraschte sie sehr schmerzlich; sie schämte sich ihrer,weil sie ihren Vater gekannt hatte, und alle Dankbarkeit gegen Braka, alleFreude, die sie über das Gedeihen des kühn und glücklich erschaffenenWurzelmännchens hegte, konnte diese Scham nicht unterdrücken. Es lag ihrdie Hoheit ihres ägyptischen Stammes im Blute, und sie sah zu den Sternenzutraulich als zu ihren Ahnen und fühlte den Sommer ihres Landes jetzt indem kalten Oktober, wo der Nil sinkt und alles sich zur Arbeit regt, abersie wußte auch das alte Verbrechen ihres Volks, daß sie der heiligenMutter Maria auf ihrer Flucht nach Ägypten kein Obdach geben wollten, alssie mit ihrem seligmachenden Kinde im starken Regen einritt; da erhob aberdieses seine Hand im Kreise, und über ihnen stand ein Regenbogen, derkeinen Tropfen auf sie niederfallen ließ. “Ist unsre Schuld noch nichtgebüßt!” seufzte Bella, und rings um den Mond erblickte sie einenwunderbaren farbigen Kreis, daß ihr Herz aufjauchzte und ohne Worte betete.“Mit welcher Sehnsucht hat mein geliebter Vater Michael”, dachte Bella,“nach jenen Hügeln geblickt, den ersten Gruß der Morgensonne zu erwarten,und ich soll sie hier in der Stille nie wiedersehen. Was haben sie mitmir vor, die mich umgeben, soll ich fliehen in die Weite, so weit meineFüße mich tragen, die Welt ist ja nirgend verschlossen!” Die Sehnsucht nach der Freiheit bewegte sie, da flüsterte ihr Braka leisezu, die sich ihr genähert: “Der Bärnhäuter hat schon alles aufgesackt, derCornelius reitet auf seinem Nacken, hast du noch was mitzunehmen?” “Ei freilich”, sagte Bella, “da sind noch meine Puppen und das Zauberbuch.” “Ach, liebes Kind”, sagte die Alte, “das hat der grobe Bärnhäuter ausUnvernunft alles in den Ofen geworfen; sei nur nicht böse, tröste dich.” Bella sah nieder: “So muß ich auch das alles verlassen, womit ich gespielthabe.” “Ja, liebes Mädchen”, sprach Braka und umarmte sie, “ich habe es dir schonseit ein paar Wochen sagen wollen, du bist nun erwachsen, kannst auch alleTage einen Mann nehmen; freust du dich nicht, Blitzmädchen? Wie ist deinBusen hervorgetreten wie eine Frucht unter Blättern, und du hast es nichtbemerkt, sieh, der Mond hat Platz, seine Strahlen hinüberzurollen.” “Alte, bist du unsinnig?” fragte Bella. “Ach laß mich”, sagte Braka, “es ist Nacht, und ich mag auch einmalvergessen, wie ich mich in aller Welt gleich einem Rauchbesenherumgetrieben, alle Spinnweben, allen Schmutz ausgekehrt habe, daß ichschmutzig bin und bleibe. War auch einmal jung und artig, sang mit unsernschönen Jünglingen und reimte Lieder, und nun ich dich so sehe und du vonallem nichts weißt, was mit dir geschehen, da denke ich für dich und freuemich für dich. Sieh, du bist nun ein großes Mädchen, und alle Lust gehtdir auf, und wo du hinblickst, jeder fühlt und will was bei dir, und wenndu nur eine Hand ausstreckst, wird es ihnen heiß in den Adern, siestammeln und scheuen sich und rasen und hetzen, und blickest du einen anund dann den andern, so schlagen sie sich und rechnen ihr Blut für nichtsgegen dein Blut und vergießen es für dich.” “Ach Gott”, rief Bella, “welch ein Unglück steht mir bevor, lieber laufich davon und verberg mich aller Welt!” Braka hielt sie und sagte: “Fliehen willst du, unartiges Kind? Wenn dudir das je unterstehst, ich will dich schon wiederkriegen, da peitsche ichdich mit Brennesseln. Du bist doch noch dumm wie ein Klotz; wenn man derdummen Gans alles Liebe sagt und tut, sie versteht kein Wort; kommt jetztherein, wir haben keine Zeit übrig, ein andermal sag ich dir mehr!” Sie schob Bella ins Haus, die wunderlich bewegt von dem, was sie gehört,noch mehr von dem, was sie erwarten sollte, sich über den Verlust ihrerBücher und Puppen tröstete und den Bärnhäuter kaum anstaunte, der inseiner braunen Livrei einem Bären glich, auf welchem der Alraun wie einmenschlich angezogener Affe ritt, um sich auf einer Kirmes sehen zu lassen.Braka ging voran, Bella folgte ihr, der Bärnhäuter schlug die Tür zu;alle waren still, nur Braka brummelte vor sich, wenn sie den verschneitenWeg nicht recht erkennen konnte. Auf dem Galgenberge sahen sie großenTanz, sie kehrten sich nicht daran; ein paarmal wurden sie durchFeldhühner erschreckt, die aus dem Schnee aufflogen. Endlich sahen siedas Dorf Buik in einer Vertiefung liegen, und Braka erkannte die Lampeihrer alten Diebsschwester, der Nietken. Sie näherten sich leise einer Gartentür, und Braka machte ihre Gegenwartdurch Wachtelgeschrei kund. Es kam ein kleines Mädchen, die sah sie an,machte die Türe auf und führte sie in einen Keller und durch den Kellerdie Treppen hinauf in ein Bodenzimmer, das durch die Türe einesNebenzimmers erleuchtet wurde. Braka ging unverzagt in dieses zweiteerhellte Zimmer, wo eine dicke, alte Frau, die in einem schönen, grünen,seidnen Kleide einer Platznelke glich, weil sie dasselbe hin und wiederteils mit ihrem roten Gesicht und Händen, teils mit ihrem rotwollenenUnterrocke durchschimmern ließ, vor einem kleinen Hausaltare kniete, dermit einem schönen Bilde der Mutter Maria und vielen bunten Wachskerzengeheiligt war. “Nun, du alter Sausack”, sprach Braka, “betest du wieder, weil du vielgetrunken hast und der Schluckauf dir nicht vergehen will?” Frau Nietken, denn das war die Betende, sah sich um, winkte mit der Handund betete ihren Rosenkranz emsig fort. Der Bärnhäuter fand sich auch zurAndacht gestimmt, er kniete nieder, auch Bella, die recht schöne Gebetewußte; aber Braka, die alle Schlüssel und Gelegenheiten des Hauses kannte,nahm eine große Kanne schwer Bier aus einem Wandschranke und trank füralle. Unterdessen war der Alraun über allen lächerlichen Kram im Zimmer, wo alteTressen, Lappen, Küchengeschirre, Leinenzeug in abgesonderten Haufen lag,so verwundert, daß er sich nicht satt daran sehen konnte; alles war ihmneu, aber er wußte sich bald alles zu deuten. Frau Nietken, die eineTrödlerin von sehr ausgebreitetem Handelsverkehr war, versammelte dieseltensten Vorräte von Altertümern aller Art; da war im Hause auch daskleinste Hausgerät nicht in der Art zusammenhängend und dem Hause gemäß,wie man es sonst allerorten findet; sondern aus einer sehr natürlichenAuswahl der Leute, die sich immer das Brauchbare aus ihren Ankäufenherausgesucht hatten, war ihr zum Gebrauche nur das Abenteuerlichstegeblieben, was die Laune irgendeiner Zeit oder eines Reichen für einenbesondern Fall geschaffen hatte. Die Stühle zum Beispiel in derDachkammer waren von hölzernen Mohren getragen, über jedem ein bunterSonnenschirm, sie stammten aus dem Garten eines reichen Genter Kaufmanns,der viel Geschäfte in Afrika gemacht hatte. In der Mitte des Zimmers hingeine wunderliche gedrehte Messingkrone, sie hatte sonst die aufgehobenejüdische Synagoge zu Gent beleuchtet, jetzt steckte ein gewundenes buntesWachslicht zu Ehren der Mutter Gottes darauf. Der Altar war eigentlichein abgedankter Spieltisch, an welchem die ledernen Geldsäcke ausgerissenund eine gewesene Salzmäste, mit Weihwasser gefüllt, eingesetzt war. Anden Wänden hingen gewirkte Tapeten, welche alte Turniere darstellten, dieRitter und die eisernen Harnische hingen in Plundern herunter. Die gute Frau Nietken, die zu ihrem Geschäft, das sich auch gelegentlichüber gestohlne Sachen ausbreitete, die sich in dem Hause gar leichtverstecken ließen, alles Gaunervolk der Gegend brauchte, war eineHerzensfreundin von Braka, die ihr sehr gut nach dem Maule schwatzenkonnte. Kaum hatte sie ihr letztes Ave gebetet, so erhob sie sich imVerhältnis zu ihrem dicken Leibe mit großer Rüstigkeit, stellte sich miteingestemmten Armen vor Braka hin und sprach: “Nun, du alte Vettel, kannstwohl gar nicht mehr beten, hat es dir dein Herrgöttchen, der Teufel,verboten? Wann wird er dich holen? Du altes Weib, wirst ja alle Tagerunzlichter. Pfui Teufel, wenn ich so aussähe wie du, ich ginge nichtüber Feld!” “Du bist schön jung”, kreischte Braka, “Siehst aus wie mein alter dickerSpitz, wenn ich ihn frisch geschoren; die weißen Haare wachsen strichweisaus dem roten Gesichte heraus; hast sicher heut zuviel Pfefferwassergetrunken. Kannst du noch russisch tanzen, du tolles altesTrompetergesichte?” “Heida, das geht noch!” trompetete Frau Nietken und tanzte zu allerErstaunen, als wollte sie die Beine sich ausschlenkern, rutschte dann aufden Knien, klatschte an ihr Fleisch, bis alle in ein entsetzlichesGelächter ausbrachen, und sie schwur, daß ihr alle Knochen im Leibezerbrochen wären, und daß sie ein Glas spanischen Wein trinken müsse. Nun sah sie erst beim Wein die übrigen an. Als sie Bella erblickte, sagtesie zu Braka: “Laß mir die, die soll mir zur Hand gehen; was hast du fürSchlechtigkeit mit der im Sinn, soll dir die Geld verdienen?” Brakaversicherte ihr mit recht ehrerbietiger Stimme, dies sei ihre Herrschaft. “Wer ist denn die Kröte da?” fragte Frau Nietken weiter und wies aufCornelius. “Ich bin der Feldmarschall Cornelius”, antwortete der Alraun, “hab siemehr Achtung gegen mich, alter Hahnenkamm!” “Nun”, fuhr sie fort, “der muß wohl Feldmarschall bei den Unterirdischensein; wer aber bist denn du, alter Zeiselbär, hast ja eine Livrei, die ichkennen sollte? Ei ja, ich hab sie dem Herren von Floris für eine neuegebracht, die er seinem alten Bedienten im Grabe nicht gönnte. Am Endeist die zum Stehlen auch nicht zu schlecht gewesen; hast du sie aus demGrabe geholt, du siehst darnach aus!” Der Bärnhäuter, den sie also anredete, ohne ihr zu antworten, reichte ihreine derbe Maulschelle, worauf das alte Weib sogleich ganz nüchtern wurdeund fragte, was sie beföhlen. Braka konnte ihr jetzt alles deutlich machen, was sie an guten Kleidernund Schmuck brauchten, und daß sie in aller Frühe in ihrem bestenStaatswagen nach Gent gefahren sein wollten, um dort irgendein mietfreiesRitterhaus zu bewohnen. Die treffliche Frau Nietken hatte es gleich weg, daß viel bei diesemHandel zu verdienen sei; also weckte sie im Augenblicke ihre Leute undlief treppauf, treppab, um das Schönste ihnen aufzusuchen. Arme vollKleider warf sie ins Zimmer, da wurde ausgesucht und zwei Koffer damitgefüllt, mit Wäsche konnten sie nur sparsamer versorgt werden, denn dieNiederländer verkaufen lieber ihr Kleid als ihr Hemde. Nachdem für denAnzug gesorgt war, sprang Frau Nietken herbei mit Kohlen und einemBrenneisen, um die Haare nach damaliger Sitte zu locken. Da half es nicht,daß Bella ihr die natürlichen Locken ihrer Haare zeigte, die waren ihremfeinen Geschmacke nicht gut genug; es war dem armen Kinde wie eineTeufelsklaue, die sie gepackt, als sie die Haare um das heiße Eisengewickelt ihr heiß an die Stirn drückte. Bellas Hinterhaare waren trotzdes Abschneidens noch lang genug zur damaligen Lockentracht. Bellasfürstliches Ansehen hielt Frau Nietken in gewissen Schranken; auch Braka,als sie gewaschen und frisiert war, hatte sich veredelt, sie erschien wieeine sehr ehrwürdige alte Hofmeisterin, denn als Mutter der schönen Bellahätte man sie wohl nicht durch den Anblick anerkennen mögen. DieEitelkeit erwachte in Braka wie in Bella nicht schlecht, und als sie erstihre seidnen Kleider angezogen, stolzierten beide stillschweigend vor denSpiegeln herum. Aus dem Feldmarschall konnte Frau Nietken am wenigsten machen. Umsonsthatte sie ihm sein grobes Haar gestutzt, er war und blieb nach der ganzenzusammengedrückten Gesichtsform, den hohen Schultern und der beengtenSprache ein Zwerg. “Hör, Kleiner”, sagte sie, “wenn du kein Zwerg bist,so bin ich keine ehrliche Frau!” “Was”, sagte Cornelius, “ich bin ein Mensch, und du nennst mich einenZwerg? Was ist denn ein Zwerg?” “Ich weiß es wahrhaftig nicht”, sagte Frau Nietken, “aber du kamst mir vorwie ein Zwerg, ich glaub, du könntest dich für Geld sehen lassen!” “Das wäre mir lieb”, sagte Cornelius, “vielleicht!” und meinte in seinergeldbringenden Natur, alles was mit Gelde bezahlt würde, sei auchehrenvoll, und das sei eine Artigkeit der guten Frau. Am Morgen waren alle ausstaffiert, Cornelius wurde im Schlafrock in dieschöne, vergoldete Kutsche getragen, seinen Kopf hielt die Frau von Braka,Fräulein Braka seine Beine, der Bärnhäuter saß auf dem Bocke: so fuhrensie mit ziemlichem Herzklopfen aus, teils von der Furcht, teils von denKleidern eingeklemmt, denn der neue Staat wollte keinem recht passen; aberfreilich war er auch ziemlich zusammengetrödelt und doch so teuer, daß derBärnhäuter über die Anwendung seines Schatzes heimlich geseufzt hatte.Als sie eine halbe Stunde gefahren waren, fing Cornelius heftig an zulachen und sagte: “Die alte Katze meinte, daß sie uns recht geprellt hätte,ich hab sie aber angeführt: in den alten Stiefeln, die sie mir angezogenhat, ist ein schöner Schmuck von kostbaren Steinen eingenäht, wer weiß es,wie sie dazu gekommen, sie hat’s aber nicht gewußt, trennt einmal die Nahtganz zierlich mit diesem Messerchen auf.” Braka machte sich darüber, schnitt die Stulpen auf und fand diekostbarsten Diamantketten zum Halsschmuck; sie griff sich aus Vergnügennach alter Gewohnheit in die Haare und verdarb sich damit ihren halbenKopfputz: “Ach, wie prächtig wird mir der kleiden!” sagte sie und machteAnstalten, ihn um ihren gelben Hals zu legen. Cornelius aber verlangte,daß Bella ihn tragen sollte, und es wäre darüber vielleicht zum Streitgekommen, wenn die Nähe der Stadt die Aufmerksamkeit der Alten nichtgefesselt hätte. Cornelius hing der schönen Bella die Halskette ungestörtum, die ihr künftig so wichtig wurde. “Seht euch doch um, ihr Kinder”,rief jetzt Braka, “euch ist es was Neues und ihr achtet nicht darauf: sehtden lieben Reichtum rings an der Stadt, die Frachtwagen ziehen so breit,daß wir ihnen kaum ausweichen können.” Aber Cornelius und Bella sahen nurnach den zierlichen Reitern, die ihre Pferde tummelten; nach den Schafen,die von den Metzgern zur Schlachtbank getrieben wurden; ein Wagen vollKälber, die jämmerlich aufeinanderliegend blökten, erschreckte Bella, soauch das Lärmen in den Wirtshäusern der Vorstädte, wo der tägliche Erwerbschon so früh Zank und Schlägerei erweckt hatte. Endlich kamen sie an die Torwache; ein Bürger trat mit der Hellebardeheran und fragte, woher sie kämen. “Aus dem Lande Hadeln!” antworteteBraka in der Verlegenheit, “ich bin Frau von Braka, dies ist meine Tochterund dies mein Neffe, der Herr von Cornelius.” “Fahr zu”, rief die Schildwache, und der Kutscher brachte sie, während siezitternd triumphierten, daß ihnen von der Wache kein Einwurf gemachtworden, nach dem Hause am Markte, das Frau Nietken zu vermieten denAuftrag hatte, wo sie ohne alle besorgliche Ereignisse abstiegen und sicheinrichteten. Die ersten beiden Monate wurden darauf verwendet, ein vornehmes Wesen zuerlernen; es wurden Lehrer und Lehrerinnen angenommen, und was sich imBetragen der alten gnädigen Frau nicht schickte, wurde immer dem LandeHadeln zur Last gelegt, wo das Adeln noch nicht recht tief eingedrungensei. Bella erschien bald in allen ihren Sitten der feinsten Gesellschaftgleich; sie sprach spanisch mit Fertigkeit. So verborgen sie sich hielt,war sie doch schon das Gespräch der jungen Leute, die alle Tage vor demHause vorüberritten, um sie zu sehen und ihre Aufmerksamkeit auf sich zuziehen. Der Herr Cornelius befand sich am schlechtesten bei seinem neuenStande, die enge Kleidung wollte ihm gar nicht behagen, und dasFechtenlernen machte ihn zum Umsinken müde. Auf der Reitbahn konnte er esmit allem grimmigen Gesichterschneiden durchaus nicht vermeiden, daß nichtüber ihn als über ein Wundertier gelacht wurde, die zahmsten Pferde wurdenbei seiner ewigen Unruhe wild und warfen ihn herunter. Er aber war nichtabzuschrecken, er stieg gleich wieder auf, und das wiederholte sich oftzehnmal in einer Stunde, kein andrer Mensch hätte diese Stöße aushaltenkönnen. Glücklicher war er in seiner übrigen Ausbildung; seinen Lehrerder Rhetorik beschämte er oft mit seiner Beredsamkeit und ärgerte ihn mitseinen Späßen. Er konnte den meisten Leuten in ihrer Sprache geschicktnachreden, hatte aber keine eigne Sprache; dennoch machte ihm seinboshafter Wille, der manches Versteckte mit ahndendem Auge auffassenkonnte, eine Menge Bekannte, die ihn in Schutz nahmen und alle Leute aufden Fuß mit ihm setzten, daß dem Kleinen nichts übel zu nehmen sei; ihmwurde jede Stadtgeschichte vorgetragen, und er mußte sie vermehren und mitEinfällen spicken, so wurde sie weiter in Umlauf gesetzt, daß eine Art vonReibung in der Stadt entstand, die endlich auch den Erzherzog berührte.Der Erzherzog hatte die Nachricht bekommen, daß er wegen eines im Briefean seinen Großvater Ferdinand ausgelassenen Titels von demselben enterbtworden sei, als er eben ärgerlich nach Hause kam, weil er ein tragendesReh, das er für einen Rehbock angesehen, geschossen hatte. BeideEreignisse hatte der kleine Cornelius gleich in Verbindung gesetzt und bateinen Pagen, er möchte dem Erzherzog raten, statt beim Großvater lieber imWalde einen Bock zu schießen. Der Erzherzog erfuhr die Worte, und da er leichten Blutes war, so mußteder Edelknabe den Spötter zum Essen laden. Der kleine Cornelius tratinnerlich mit einem Beben, aber um so frecher und unverschämter ins Zimmer;Karl war in der Blüte seines Lebens, und sein Mitleid beschwichtigte denlächerlichen Eindruck, den ihm der kleine stramme Kerl machte. Karlfragte ihn über sein Land aus, der Kleine war unerschöpflich inlächerlichen Beschreibungen von den Bauern im Lande Hadeln, und jedermannhätte geschworen, es sei wahr. Über das ihm reichlich wie Zuckerwerkzugeworfene Lob stieg ihm der Mut immer mehr in der Eitelkeit, wie einTauchermännlein, wenn der Druck der großen Hand über ihm nachläßt; er fingan von seinem Zweikampfe zu prahlen, den er zur Ehre seiner Damen gegenzwei fremde Ritter bestanden, die er tödlich verwundet hätte, wobei eraber selbst an der Brust durchstoßen, so daß er halbtot nach Gent gefahrensei. Als einige nach dem Wundarzte fragten, der ihn behandelt, und seinerZuversicht mit zweifelndem Blick begegneten, riß er sich die Weste auf undzeigte seine eingekerbte Wurzelhaut, die jedermann für vernarbt ansah.Nach diesem Hauptschlag rühmte er seine Reichtümer und seine Familie; dieTante Braka wurde eine so altadelige herrliche Hofdame, voll Erfahrung undCharakter, Herzensgüte, Zartgefühl und feiner Lebensart, wie Gent nochkeine aufzuweisen hätte. Bellas Schönheit übertraf nach seinerBeschreibung die Helena; dabei erzählte er von ihrer Unschuld eine MengeAnekdoten, die allerdings wahr waren, die ihm aber niemand glauben wollte,weil sie ihre wunderliche Erziehung und Natur hätten kennen müssen.Zuletzt gab er zu verstehen, daß er sie heiraten werde. Der Erzherzogbekam einen eignen Anfall von Sehnsucht nach ihr, wie er aber schon frühsich zu verbergen wußte, so suchte er nur durch Spott den Kleinen dahin zubringen, daß er einmal öffentlich mit seiner Braut erschiene, und dazuschlug er ihm die nächste Kirmes in Buik vor, die von allen vornehmen undgeringen Gentern gleich zahlreich besucht werde. Der Kleine ließ sichfangen und gab das Haus der Frau Nietken an, wo er mit den Seinenerscheinen wollte. Nach dieser Verabredung gingen sie auseinander, aberder Erzherzog, der noch kein Mädchen näher kennen gelernt hatte und diemeisten nicht der Mühe wert gehalten, empfand ein solchesunwiderstehliches Vorgefühl, daß er auch ohne Bellas täglich herrlichersich entfaltenden Schönheit sich wahrscheinlich in ihr unschuldiges undheimliches Wesen verliebt hätte. Er sprach mit Cenrio, der sein Vertrauendurch Aufopferung seiner Pflicht oft schon bei unbedeutenderem Anlaßerkauft hatte, wie sie der strengen Aufsicht des Adrian von Utrecht, desOberhofmeisters, entgehen könnten. Cenrio versprach ein altes Buch miteinem falschen Titel einzurichten, daß Adrian glauben könne, es sei einihm unbekannter Anhang zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, über die ereinen Kommentar schrieb, das solle bei Frau Nietken zum Verkauf liegen,und so werde er sich gleich darüber machen, es zu durchlaufen, und ließesie laufen, wohin ihr Lusten sie treibe. Der Erzherzog war des Vorschlagssehr froh. Nichts schmeichelt einem jungen Fürsten mehr, als in derBefriedigung seiner Leidenschaft die Klugheit lächerlich zu machen, undnichts verdirbt schneller. Als die Begeisterung des Wurzelmännchens über alle Ehre, die er beimErzherzog genossen, etwas nachgelassen mit dem Weindunste, der seinenkleinen Kopf eingenommen hatte, so gingen ihm alle einzelnen Redenhindurch, die er mit ihm geführt, daß er sich als Bräutigam ausgegeben,daß er Bella auf der Kirmes ihm zeigen wollte. In eitlem Vergnügen rieber sich die Hände und konnte sich nicht enthalten, alles dem altenBärnhäuter zu sagen, der wie alle Bedienten klug genug war, so dumm er inseinem Dienste sein mochte, seinem Herren den Kutzen zu streichen, auswelchem ihm schon manches Trinkgeld gefallen. Dies vollendete, wozu derKleine aus Nachahmerei seiner Bekannten schon vorgereift, eine festeÜberzeugung in ihm, er sei in Bella verliebt, und bei der vielenZärtlichkeit, die sie aus einer Art mütterlichen Gefühls ihm bezeugte,glaubte er in ihr ein gleiches Gefühl voraussetzen zu dürfen und hieltseinen Vorteil für so gewiß, daß er nicht einmal die ahndenden Augen aufsie zu werfen nötig fand, um zu unterscheiden, wie sich alles in ihrverwandelt hatte, wie sie nicht bloß mit ihren Augen die Frühlingssonne,sondern auch mit ihrem Herzen die Liebe gesucht habe. Er kannte nicht dieMacht des Frühlings, der aus dem Himmel in alle Fenster ruft: “Ihr Mädchenschaut euch um nach einem, der mir gleicht.” Auch Bella hatte die Frühlingsstimme gehört und lief unzähligemal vonihrer Arbeit ans Fenster, und so kam es, daß seit ein paar Tagen mit ihreine so gerechte und natürliche Veränderung vorgegangen war. Sie hatte inder Abwesenheit des Kleinen, der die Zimmer nach der Straße bewohnte,einmal gerade zu der Stunde durch die Teppiche der dichtverhängten Fensternur mit einem Auge gesehen, als der Erzherzog mit seinem Gefolgevorbeiritt, aber ein Schlag, mächtig wie jener, der sie auf demGalgenberge betäubte, doch ohne jenes Schrecken, hatte ihre Erinnerungaufgeklärt, und wie das goldne Vlies an einer starken, unauflöslichenKette um seinen Hals hing, so war sie an seinen Blicken hängen geblieben,das sanfte, liebe Lamm, mit ganzer Seele; und das alles, was sie vor demZauberschlage am Galgenberge in ihrer Seele für ihn gefühlt hatte, das warin der Einwirkung seiner hellen Augen ihr wieder ganz gegenwärtig geworden.Ja, als er vorbei war, schlug sie die Hände über den Kopf zusammen undweinte so heftig, weil ihr alles verhaßt war, was sie erlebt, was sieumgab, daß Braka herbeieilte und lange kein Wort ihr entlocken konnte undendlich selbst mit ihrem Troste in ein geselliges Heulen ausartete. Bellamußte sich einem in der Welt vertrauen, sie bekannte ihr endlich, wer ihrwieder erschienen, wie verhaßt ihr nun dieses Lernen im Stadtleben sei,wie froh sie jetzt im kleinen Hause vor der Stadt an den BodenfensternFrühling und Sommer in Nähe und Ferne überschauen könne, der jetzt kaum ineinzelnen Baumspitzen und abgebrochenen Blumensträußen zu ihnen dringe.“Mutter”, seufzte sie, “wie möchte ich still ungestört in einsamen Nächtendurch die Fluren schauen und beten.” Als Braka das gehört, schlug sie lustig in beide Hände und sprach: “Sieh,verstehst du nun, was ich dir im Garten sagte, ehe wir nach Buik gingen?Nun, wenn’s weiter nichts ist, da will ich dir schon Mittel schaffen, diedir besser helfen als Seufzen und Beten. Du sollst ihn haben, du mußt ihnhaben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Planmit dir, den auch die Oberhäupter unsres Volks billigen. Du mußt vondiesem künftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch dieLiebe seines mächtigen Vaters den zerstreuten Überbleib deines Volkes inEuropa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandeszurückführt. Also weine nicht, das macht dir die Augen trübe, ich will janichts andres, als was dir lieb ist.” “Aber wie soll ich von ihm ein Kind kriegen?” fragte Bella. “Wird er esmir gleich ohne Umstände aus dem Brunnen holen, von dem mir der Vatererzählte, wo eines immer muß die Leiter halten, während das andreheruntersteigt?” “Liebes Kind”, sagte Braka mit verschmitzter Bosheit, “wenn du mit ihmallein bist, mußt du ihn recht dringend darum bitten; wenn er gerade inrecht gnädiger Stimmung, so gewährt er es dir vielleicht im Augenblicke,und du wirst immer stark genug sein, ihm dabei die Leiter zu halten!” “Ach, mein Karl ist gewiß gut, das sagte mir sein Auge, seine Stirn, alser im Vorbeireiten das Barett vor einem alten einbeinigen Kriegsknechtabnahm, er tut’s mir gewiß zu Gefallen”, rief Bella, “wir wollen es ihmdurch den Kleinen sagen lassen.” “Um unsrer lieben Jungfrau harte Haut am Fuße bitte ich dich”, sprachBraka und hielt ihr den Mund, “sage dem kein Wort, denn sieh, der würde esdir in seiner Bosheit nicht vergeben, daß du dich bisher stelltest, alssei er dein Schatz.” “Mein Schatz, nein, das war er nie”, sagte Bella, “aber er war mir bis zudieser Stunde lieb; jetzt wollte ich, wir hätten ihn oben stehen lassenbeim Meerrettich, er scheint mir jetzt recht unmenschlich, ich weiß nicht,warum?” “Nun, Kind”, fuhr Braka fort, “darin kann ich dir nicht unrecht geben; ichhab mich lange gewundert, wie du so schmeichelnd zuweilen den garstigenKniehoch auf deinen Knien reiten ließest, während er dir alles gebrannteHerzeleid antat, deine Zeichenbücher zu Papierknallen zerriß, Suppe aufdeine Kleider schüttete. Aber sei klug, folge mir, laß dir nichts merken,wenn ich ihm die verfluchten Augen hinten einmal packen kann, reiß ichsie ihm aus, daß er das nicht entdeckt. Er muß uns Geld und Gelegenheitschaffen, daß wir den Erzherzog sehen; schmeichle ihm recht, daß du ihnliebst.” “Aber ist das nicht unrecht?” fragte Bella. “Wie dumm”, rief Braka, “wenn es ein Mensch wäre, ei nun, aber eine alteWurzel, was kann man da für Unrecht tun, eine andre wird mir nichts, dirnichts klein geschnitten und gekocht; Ehre genug für diese, daß wir mitihr wie mit einer Puppe zuweilen umgehen. Nun weiß ich wohl, es wird unsnicht leicht werden, seiner los zu werden, aber da hab ich mein Plänchenmit dem Bärnhäuter, der ist des Dienens zum Verzweifeln satt und müde undmöchte sich gern wieder zu Grabe legen, der mag ihn mit dem Schatze nehmen.Hat dich der Erzherzog lieb, so brauchen wir keine solche Schätze, derwird uns nicht Hungers sterben lassen.” Bella, in ihrer Ungeduld nach dem Erzherzoge, ging alles ein, sie wolltesich gegen den Kleinen zärtlich stellen, und sie hatte in den nächstenTagen schon Gelegenheit dazu, als er von dem Erzherzoge heimgekehrt warund ihr zum erstenmal von der Zukunft redete, wie sie sich in Gentvermählen und niederlassen wollten. Braka war gegenwärtig und fragte ihnlistig, wie es denn mit seinem Kriegshandwerk jetzt stehe, ob er baldGeneral oder Korporal sein würde. Er lächelte selbstzufrieden und gab zu verstehen: seine Anstellung seiziemlich unfehlbar, er vermochte alles über den Erzherzog; dann erzählteer ihnen, wie er mit diesem eine Zusammenkunft in Buik zur Kirmesverabredet hätte, sie möchten sich doch bei Frau Nietken einige artigeZimmer bestellen. Braka war heimlich erfreut, wandte aber scheinbar ein, daß die Frau siekenne und sie verraten möchte, doch freilich sei dies in Gent ebensomöglich, und mit Geld ließe sie sich leicht in ihr Interesse ziehen. DieLustfahrt wurde also beschlossen und gleich die Schneiderinnen zu einemrechten Feststaate in Bewegung gesetzt; es entstand ein Geschicke nachallen Seiten, daß selbst der arme Bärnhäuter, trotz seiner kaltenLeichennatur, schwitzen mußte. Dieser gute Kerl tat wirklich alles, wasman nur von einem lebenden Menschen erwarten konnte, dabei aß er aber sogewaltig, daß seine irdische Natur ein frisches Leben gewann und er sichimmer mehr überzeugte, er werde sie nicht mehr so geruhig zu Grabe bringen,wie sie sonst darin gelegen, auch erhob sich zuweilen ein solcher Streitzwischen dem lebenden und verstorbenen Körper in ihm, daß es ihm über derganzen Haut zuckte und juckte. Ebensolcher Zwiespalt war in seinerMeinung von der Herrschaft: sein verstorbener Leib rechnete sich zu HerrenCornelius, sein neulebender war ganz der Frau Braka und der schönen Bellaergeben und achtete den Herren nicht mehr als einen Glückspilz. Wie nundie eine oder die andre dieser Seiten hervortritt, werden wir ihn bald fürden einen, bald für den andern tätig sehen; doch verriet er keinen demandern. Alles war endlich zur Fahrt bereit. Der Wagen hatte dreifach bezahltwerden müssen, solch eine Menge Leute, die sonst im stillen Gewerbe lebten,hatten diesen Tag zum Auslüften sich erwählt. Da traten so vieleverlegne Kleider ans Licht, da lärmten die Kinder so früh im Hause; abernur die wenigsten konnten sich der Bequemlichkeit eines Wagens erfreuen,die meisten mußten sich in langen Reihen einen Weg durch das Korn drängen,um nicht im Staube des Fuhrweges zu ersticken; doch zogen andre diesen vor,weil viele die reichen, geputzten Kaufleute und den Adel nicht früh genugzu sehen meinten, wenn sie dort alle versammelt wären, sondern sie einzelnauf dem Wege dahin zu mustern wünschten. Insbesondere war aber dieSchaulust durch die allgemein verbreitete Nachricht gespannt worden, daßselbst der Erzherzog im großen Staate des Vliesordens mit allen seinenEdelknaben und allen Rittern die Lustbarkeit der Buiker Kirmes mit seinerGegenwart beehren werde, eine Herablassung, die ohne Beispiel war und dieVorsteher des Orts zu der gewaltigsten Anstrengung an Reden undOrdnungsgesetzen, Ehrenpforten und Blumenopfern begeistert hatte. Voneinem sichtbaren Punkte zum andern waren Bauern mit Fahnen ausgestellt,durch deren Wink der Ausritt des Erzherzogs kundgetan werden konnte; beijeder Fahne hatte sich ein Haufe Wanderer gesammelt. Dieser Prinz, derweniger mit dem Feste als mit seiner Liebe beschäftigt sein wollte,täuschte aber die allgemeine Neugierde, indem er sich ganz einsam mitCenrio und Adrian in einer bedeckten Gondel einschiffte, um unmittelbar amHause der Frau Nietken, wo Cenrio ihnen Zimmer bestellt hatte, abzutreten.Unterweges nahm er zum erstenmal einigen willigen Unterricht in derDialektik bei Adrian, dem es eine Freude war, als der Prinz den Schlußerfunden hatte: Alle junge Männer sind verliebt, Cajus ist ein junger Mann,also ist Cajus verliebt. Der genannte Cajus war aber unser Erzherzogselbst, der dabei heimlich mit Cenrio lachte. Der Erzherzog war in denbloßen Gedanken an die schöne Unbekannte, die er an dem Tage sehen sollte,so verliebt, daß es ihm wie eine Überfahrt auf dem langsamen Styx zu einemneuen Leben schien, wo alles freier, wunderbarer, lieblicher undschrecklicher ihm erscheinen sollte. Adrian dachte heimlich an das Buchdes Petrus Lombardus, wovon ihm Cenrio erzählt, daß er es bei einerTrödlerin gesehen, Cenrio an die künftige Gunst, die seiner warte, wennder Erzherzog zur Regierung gekommen. In solchen Gedanken landeten sie im Hofe von Frau Nietken, die, ungeachtetsie von Cenrio wohl unterrichtet war, doch sich stellte, als kennte sieihre hohen Gäste nicht, und es bedauerte, daß ein paar Familien aus Gentihr Haus in Beschlag genommen hätten. Adrian fragte, ob sie nicht in derBibliothek unterkommen könnten, aber Frau Nietken lachte, daß ihr derKader schwoll, sie hätte nur ein paar alte, wurmstichige Schwarten, dielägen in einer Bodenkammer, wo sich knapp ein Mensch umdrehen könnte.Adrian ließ nicht nach, bis sie dahin geführt wurden; erst dort sagte erihr, daß ihrem Hause die Gnade heut geworden sei, den Erzherzog zubeherbergen, die Familien aus Gent würden wohl aus Achtung gegen ihn einpaar Zimmer nach der Straße frei machen. Das dicke Weib schien beinahe indie Knie zu fallen aus Verwunderung und Demut, küßte die Zipfel dererzherzoglichen Feldbinde und eilte in das Zimmer der Frau von Braka, umihr anzuzeigen, daß der Erzherzog gekommen, daß sie ihm die benachbartenZimmer einräumen und die Türen offen lassen wolle. Der Kleine war in der Zwischenzeit mit dem Bärnhäuter schon auf denJubelplatz in der Mitte des Orts gegangen, um den Erzherzog zu erwarten,von dem er sich recht viel Ehre versprach. Zu seinem Leid mußte er dessenAbwesenheit von Edelknaben des Prinzen erfahren, die vor dem Rathause,dessen prachtvoller alter Bau mit großen Fenstern und Türmen der einzigeRest von der ehemaligen Größe des Ortes war, alle Reden derGemeindevorsteher, die auf den Prinzen berechnet waren, abhörten. Erwollte gleich nach Hause, um die fehlgeschlagene Erwartung mit dem Prinzenseinen Frauen anzukündigen; aber ein paar Vertraute Cenrios, die ihn auchkannten, nahmen ihn beiseite und sprachen ihm vor, warum er sich jetztkeine ansehnliche Stelle unter dem neuerrichteten Fähnlein vom Prinzenerbitte, den er so gut kenne und der ihm so gewogen. Der Kleine wurdeganz heiß vor eitler Lust bei diesem erwünschten Vortrage, der seinenLieblingsgedanken zutage förderte, er ließ sich wohlgefällig mit denbeiden in ein Gespräch ein, und als sie ihn auf ein Glas Wein in einnahgelegenes Haus nötigten, schickte er den treuen Bärnhäuter an seineFrauen mit der Nachricht zurück, daß sie den Erzherzog nicht unnützerwarten möchten, er sei ausgeblieben, einige wichtige Geschäfte hieltenihn mit Edelleuten des Hofes zurück, nachher wollte er ihnen die Zeitvertreiben. Die Zeit verging dem Kleinen sehr schnell, denn außer denschmeichelnden Freunden und dem guten Weine wirkte auf ihn der Rauscheiner unendlichen Volksmenge, die sich mit Leib und Seele diesen dreilustigen Tagen aufopfern wollte und deswegen auch nicht die kleinste Zeitin dem angefangenen Werke zu verlieren strebte. Welche Vorräte anFleisch, Kuchen und Brot wurden da teils von den Ankommenden ausgepackt,teils aus den Wirtshäusern geholt; es war ein Frühstück, wie sonst einerstes Mittagsbrot nach dem Fasten, und sicher wäre den Heißhungrigenmancher der ungeheuren Bissen im Halse stecken geblieben, wenn sie nichteine künstliche Schleuseneinrichtung mit Wein und Bier gemacht hätten,wodurch alles glücklich an seinen Ort hinuntergeschwemmt wurde. DieNiederländer verstehen so etwas vortrefflich, und die Städter waren indieser Zeit so übermächtig reich durch Handel und Wandel mit aller Welt,daß ihnen alles einländische, unmittelbare Landeserzeugnis fastunbedeutend wenig kostete. Einem Reichen war es eine Kleinigkeit,Tausende durch Wohltaten zu sättigen, darum gab es eigentlich keineNotleidende in den Städten und nur Bettler, die in dem müßigen Leben ihreFreude fanden. Aber auch diese entzogen sich zu solchen öffentlichenFesten ihren Lumpen und trieben als Schauspieler in Königstracht ihrenMutwillen vor der Welt, deren Mitleid sie sonst anflehten. Einige Fässer,die mit Brettern überlegt waren, dienten ihnen zum Theater, einPlatzknecht, ein langes, ausgestopftes Kissen an der Peitsche, hieb aufdie Kinder, die in ihrer Neugierde an das Theater heranklettern wollten;zugleich hatte er eine Schellenkappe mit Eselsohren auf dem Kopfe, sprachals Narr im Stücke und mit den Zuschauern. Unser Kleiner war ganzentzückt von dem Schauspiele. Die Geschichte des Menschen, der, vonseiner Frau in einen Hund verwandelt, soviel vergebliche Versuche macht,sich den Leuten als ein vernünftiger Mensch zu beweisen, zog ihn so an,daß er so nahe kletterte, bis ihm der Platzknecht einen derben Schlag überden Rücken zog. Unser Kleiner glaubte sich vor den Augen aller Weltgrimmig beschimpft, er zog seinen Degen und ging gegen den Schalksnarrenan, der sich sehr lächerlich mit seiner ausgestopften Wurst gegen ihnverteidigte; alles schrie vor Vergnügen. Viele, weil sie den Spaßzwischen dem kleinen und dem großen Manne für eine verabredete Possehielten, munterten beide auf; die Kinder kletterten auf die Schultern derErwachsenen, andre stiegen auf Tische und auf die eisernen Stangenzwischen den Bogen des Rathauses, auf die Bäume, woran sie wie seltsameFrüchte hingen. Die beiden Edelleute sahen diesem Ritterzug ihresSchutzempfohlnen eine Zeitlang mit ungemeiner Freude zu, als er aber demNarren ein kleines Loch in die Wade mit seinem Degen gestochen, dafürchteten sie für ihn, denn die Zuhörer waren mit dieser Störung garnicht mehr zufrieden, und ein Bauer sprach schon davon, ihm Nase und Ohrenabschneiden zu wollen. Sie griffen ihn deswegen, steckten ihn unter ihreMäntel und trugen ihn, so heftig er sich sträuben mochte, in das erstebeste Haus, was sich ihnen öffnete. Der Zufall wollte, daß es das Hausder guten Frau Nietken war, die wegen einer Zahl feiler Stadtjungfern, dieein paar Zimmer gemietet hatten, diese Türe stets offen lassen mußte,damit die Menschen so unbemerkt wie möglich einschlüpfen konnten. Welcheine Freude dieser Jungfern über die beiden schönen Edelleute und über denkleinen Zwerg, denn so nannten sie ihn, bis er grimmig auf sie einging undsich als einen jungen Offizier ihnen kund gab. Es gab tausend Spaß mitihm, wir wollen ihn nicht wiederholen; aber der Mutwille der Edelleute,die Frechheit der Weiber und der Hochmut des Kleinen trieb sich wieKreisel und Peitsche, und wurde der Kleine ungeduldig und wollte ausreißen,da schrien ein paar, als stände der Narr mit den Bauern noch vor der Türeund wollte ihm die Ohren abschneiden. Wie benutzten diese Zeit die Verliebten? Der Erzherzog hatte kaum seinZimmer betreten, so horchte er an der Türe und merkte, daß die beidenFrauen im Nebenzimmer wären; er bat Cenrio, ihm einen Bohrer zuverschaffen. Dieser holte in aller Eile den Anbrechbohrer einesWeinküpers, der im Hofe ein Ohmfaß abgezogen hatte: das ging vortrefflich;ganz leise konnte er durch die Türe dringen, bis der erste feine Punkt derSpitze hindurch sah, während sein Auge sich in die breite Höhlung einlegenkonnte. Schade war’s, daß die Mühe unnütz, denn die Türe war seinetwegenoffen gelassen. Wie pochte sein Herz, und er wußte doch nichts davon, alser nun zum erstenmal hindurchblickte, und wie fuhr er zurück und fühltesich an den Kopf, als ihm das verschönerte Bild desselben Geistes, der ihndamals im Landhause geneckt hatte, vorüberschwebte. “Cenrio”, sagte er,“Wir sind in den Händen von wunderbaren Geistern, wir glaubten mit ihnenzu spielen, und sie spielen mit uns; ich möchte fliehen, aber ich kannnicht, sie ist zu schön!” Cenrio war verwirrt. “Es ist derselbe Geist, der mich schon damals im Anfange des Winters imLandhause verjagte, aber er ist menschlich gewachsen, und ich widersteheihm nicht mehr; schaff Rat, wie ich sie sprechen kann, ich könnte ihrjetzt alles sagen.” “Ich hab es wohl gedacht “, sprach Cenrio, “zum Glück können wir freischalten mit der Zeit; Adrian sitzt eben in der hitzigsten Arbeit, um zubeweisen, daß der von mir geschmiedete Anhang zum Lombardus nicht echt sei;zum Überfluß habe ich noch die Türe seines Vorzimmers zugeschlossen, sodaß er uns nicht überraschen kann. Nun will ich Euch, mein Prinz, meinenVorschlag sagen: das junge Mädchen leidet an Kopfweh, Ihr müßt den Arztvorstellen, so seid Ihr allein bei ihr, und die Worte werden sich imPulsfühlen schon finden.” Wirklich war Bella durch die Vorbereitungen zur Fahrt, durch dieschlaflose Nacht und die Hitze unwohl geworden, und Frau Nietken hatteeigentlich diese Erfindung gemacht, die beiden Sehnsüchtigen zusammen zubringen. Der Erzherzog hatte sehr bald einen großen, schwarzenDoktormantel und darüber Aderlaßkram, Pflasterzeug und Klistierspritzegehängt, so trat er zagend in das Zimmer, von Frau Nietken geführt, dieihn für einen spanischen Doktor ausgab. Bella erkannte ihn beim erstenBlicke, und Neigung und Beschämung drückten sie ebenso nieder, wie Brakadie Einwirkung der fürstlichen Gegenwart; jene verbarg ihr Angesicht imSchleier, diese schlüpfte mit einer tiefen Verbeugung in ein Nebenzimmer.Die beiden Liebenden waren nun allein, und alles konnte sich schnell undglücklich erklären und entscheiden; der Erzherzog, welcher aber mit keinemMädchen vertraulich geworden, brachte kein andres Wort als Pulsfühlenheraus, “Pulsfühlen” wiederholte er, “Pulsfühlen” sagte er zum drittenmal.Bella reichte ihm den weißen, runden Arm, er fühlte an einer Fingerspitze,dann spielte er mit dieser, wollte wieder etwas sagen, wahrscheinlich vonder Erscheinung in dem Landhause, brachte aber nichts heraus als: “Geist,Geist gesehen”; dabei schob er ihr einen Ring an den Finger, welches wirals den Triumph seiner Überlegung ansehen müssen. Hier endete seinruhiges Glück, denn mit großem Gepolter brach der verfluchte kleineWurzelmann, der sich bei den Mädchen bespitzt hatte und der Aufsicht derOffiziere entflohen war, ins Zimmer, sprach verwirrt von seinem künftigenRegiment und erkannte nicht Bella, die auf dem Sofa lag. Der Erzherzogbekam aber im Augenblicke seine ganze Fassung wieder, er bat ihn, daß ereine Kranke nicht stören möchte, insbesondre da sein Aussehen verriete, erwerde nicht lange mehr zu den Lebendigen gehören. Der Kleine stutzte, dieEdelleute traten herein und bestätigten ihm, er sei sehr verändert undmüsse wohl von der Pest angesteckt sein, weil er sich heute unter somancherlei Leuten umhergetrieben habe. Bei dieser Vermutung wurde er ganzhinfällig, die Kraft des Weines und seine Beine wollten ihn nicht mehrhalten; der Erzherzog warf ihm geschickt ein großes Pflaster, das er inseinem Doktorapparate fand, über das Gesicht; der Kleine behauptete, ihmwerde ganz dunkel vor den Augen. Die Edelleute versprachen ihm ingeheucheltem Mitleiden, ihn nach Hause zu tragen, denn bis jetzt hatte erweder das Zimmer noch seine Geliebte erkannt, und schleppten ihn wirklichaus dem Zimmer. Braka war in der Zeit auf der Folter gespannt gewesen. Die Liebe desErzherzogs hatte sich noch nicht erklärt und seine Freigebigkeit war nichtso weltkundig, im Gegenteil hatte sie von Frau Nietken erfahren, daß eretwas im Rufe der Knauserei stehe; der Alraun dagegen konnte so vielSchätze entdecken, als irgend in der Welt verborgen wären, er kümmertesich durchaus nicht, wie das Geld verwendet würde, solange es ihm selbstnicht fehlte. Störten die beiden Liebhaber einander gegenseitig, soentgingen ihr vielleicht alle Hoffnungen für die Bequemlichkeit ihreskünftigen Lebens, und die großen Absichten für ihr Volk wurden auch nichterfüllt. Der Erzherzog war jetzt wieder allein mit Bella, er hatte mehrMut gewonnen, sie aber war besorgt und erzürnt, wie es ihrem Kleinen gehenmöchte; sie äußerte das, und er nahm es nicht ohne eine kleine Eifersuchtauf. Er fragte mit einem gewissen Stolze, ob es ihr Bräutigam wirklichsei, und verlor in Erwartung ihrer zögernden Antwort so gänzlich alleHaltung, daß er seine vergebliche Doktorrolle aufgab und sich ihr alsErzherzog darstellte. Sie konnte sich zu wenig verstellen, um sichdarüber zu verwundern, und so waren sie miteinander in einem Vertrauen,ehe sie einander etwas vertraut hatten. Endlich sagte Bella, daß dieVermählung mit ihrem Vetter nur ihrer Mutter, nicht ihr Wille sei. DerErzherzog beschwor sie jetzt, dem Willen ihrer Mutter nicht so gänzlichnachzugeben, daß sie Lebensglück und Schönheit der Trauer einerunglücklichen Verbindung hingebe; von seiner Liebe schwieg er. Bellastotterte, wie es ihr vorgeschrieben war, daß ihr Vermögen ganz in derGewalt dieses reichen Vetters sei, daß sie dem Wunsche ihrer Verwandtensich ergeben müsse, insbesondre da sie niemand in der Welt kenne, der siegegen den Zwang derselben schützen möchte. Der Erzherzog versicherte ihrjetzt, daß jede Kränkung, die sie erfahren würde, unerbittlich von ihmbestraft und gerächt werden sollte. Diese Worte führten eineLiebeserklärung herbei, die nicht nur die beiden Verklärten, sondern auchdie horchende Braka von einer schweren Last befreite. Wie schwer fiel esaber plötzlich auf das Herz der Alten, als Bella, die von der Liebe zumErzherzog durchdrungen, jede Falschheit verfluchte, ihm zu Füßen fiel undihn bei seiner Liebe beschwor, sie nicht zu verachten, wenn sie ihnbetrogen, sie sei nicht, wofür sie sich ausgegeben, die Tochter ihrerBegleiterin, sie sei die Tochter–hier erstickte die Stimme in einemTränenstrom. Einer der Edelleute, die den Kleinen begleitet hatten, tratherein und meldete dem Erzherzog, er möchte sich in sein Zimmerzurückziehen, der Kleine lasse sich nicht mehr halten; sie führten ihndurch Umwege in dasselbe Haus zurück, woraus sie ihn fortgeführt, er haltesich für todkrank. Der Erzherzog sprang fort, entrüstet, in seiner erstenNeigung betrogen zu sein. Bella ging in das Nebenzimmer, weil es in ihremGemüte noch von den Blättern nachregnete, nachdem der ersteGewitterschauer verzogen. Der Kleine ließ sich die Treppe vom Bärnhäuter hinauftragen, der ängstlichnach der gnädigen Frau rief, weil er das Ende seines guten Dienstesfürchtete. Als Braka kam, rief der Kleine ihr mit schwacher Stimmeentgegen, er sei von der Pest so schwach, daß er auf seinen Füßen nichtmehr zu stehen vermöge, alles gehe mit ihm herum, er sehe gar nichts mehr,und seinen Gedanken hinke er mit der Zunge so weit nach, daß er es fastaus den Augen verloren, was er eben sagen wolle. Braka stellte sich sehrmitleidig und erschrocken; Bella hatte bei seiner sichtbaren Blässeeiniges Bedauern. “Ach”, seufzte der Kleine, “wenn ich nur den Doktor festgehalten hätte,der mir die Pest gleich angesehen, vielleicht weiß er auch ein Mitteldagegen.” “O”, sprach Braka, “die Pest habe ich oft schon kuriert, ich lege einKraut in lauwarmes Wasser, und davon trinkst du alle fünf Minuten eineTasse, so wird alles glücklich vorübergehen.” “Schnell, schnell”, sprach er und versank in einen dumpfen Rausch,währenddessen ihn der Bärnhäuter auszog und auf den Sofa legte, mit Deckenwohl verhüllt. Braka flößte ihm von Zeit zu Zeit eine Tasse heißesFenchelwasser ein, wie die kleinen Kinder zu bekommen pflegen.Entsetzliche Übelkeiten erweckten ihn, endlich erleichterte sich die Naturvon dem Überflusse des Weines, womit die Ehre des Zutrinkens sie überfüllthatte; schluchzend und stöhnend sprach er: “Wo mag der Doktor jetzt sein,den ich im anderen Hause sah, wäre der Mann nur zu finden, er könnte mirwohl noch helfen, ich habe so ein Zutrauen zu ihm, da er mir die Krankheitgleich angesehen; macht doch die Türe auf”, fuhr er fort, “es wird hier soheiß.” “Die Türe ist verschlossen”, sagte Bella, “der Erzherzog ist dorteingezogen.” “Der Erzherzog!” Bei diesem Worte sprang der Kleine, wie er war, aus demBette, konnte sich aber taumelnd nicht halten, sondern sank in dasWaschbecken. “Der Erzherzog ist hier, und ich kann ihn nicht um meine Hauptmannsstelleansprechen, ich versäume mein ganzes Glück, wenn ich sterbe.” Der Bärnhäuter rollte ihn wieder ins Bette, aber der Kleine weintebitterlich und jammerte nach dem Arzte, den er unterwegs gesehen. Brakaentschloß sich endlich, indem sie ihm versprach, alle Sorgfalt anzuwenden,den Mann zu entdecken, zu Frau Nietken zu gehen und durch diese denPrinzen noch einmal als Arzt kommen zu lassen. Der Erzherzog zog abersein Messer gegen diese Frau und befahl ihr mit drohender Stimme, ihm zusagen, was sie von den Fremden wüßte, die vielleicht von einem Feindeseines Hauses zu seinem Verderben gesendet wären. Frau Nietken ließ ohneRückhalt alle Geheimnisse von sich gehen; sie sagte, daß Braka eine alteZigeunerin sei, die sie lange gekannt, daß diese in einer Nacht mit derschönen Bella und dem Kleinen zu ihr gekommen und sich nach Gent habefahren lassen, wo sie bekanntlich viel Geld ausgegeben. ihr Kind seiBella gewiß nicht, dafür wolle sie stehen, ob aber das Mädchen aus einemhohen Hause, dafür wolle sie nicht einstehen, doch sei es so ihrePhilosophie. Geraubt sei das Mädchen aber nicht, denn sie habe mit derAlten zugleich befehlend und doch mit Liebe gesprochen, unter sich ineiner fremden Sprache, die sie für französisch gehalten. Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich inder Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ernstlich, daß es diefranzösische Prinzeß sein könnte, deren Heirat mit ihm von demfranzösischen Hofe gegen den Willen seines Großvaters betrieben wurde. Esist bekannt, daß sein späteres politisches Talent in seinen früherenJahren, die sich ganz zur körperlichen Ausbildung hinneigten, wenigdurchschien, er hielt so manches für möglich, was ein andrer bezweifelthätte, und Cenrio war eben mit Adrian zu beschäftigt, um ihm zu raten, ernahm also die Bitte, als Arzt wieder zu erscheinen, mit einer gewissenEhrfurcht an, welche die zitternde Frau Nietken sehr überraschte. Er machte sich jetzt durch einige Züge mit Kohle in den Augenbrauen undvor der Stirn unkenntlicher und ließ sich in das Krankenzimmer führen.Der Kleine war entzückt, ihn zu hören; der Erzherzog befragte ihn sehrernstlich nach allen Kennzeichen. Der Kleine erzählte von dem wüstenKopfschmerz, von der Übligkeit, vom Aufstoßen, von der gänzlichenDunkelheit seiner Augen und wie er über sein ganzes Gesicht einenAusschlag spüre (seine Augen im Nacken hervorzubringen schämte er sich vorden Leuten, auch hatte er sich ihrer in der guten Gesellschaft längstentwöhnt; endlich sagte er, daß er sein ganzes Glück versäume, wenn ernicht bald hergestellt wäre, weil der Erzherzog im Nebenzimmer seinetwegen angekommen sei und die Stellen im neuen Fähnlein wahrscheinlich in diesenTagen vergebe: “Ach, lieber Herr Doktor”, rief er in seiner militärischen Begeisterung,“wenn ich so wegstürbe, hätte mich die Welt nie in dem Glanze und derHerrlichkeit gekannt, wozu meine Abstammung und mein Mut mich berechtigen;oft kommt es mir vor, als wenn böse Zauberer der wahren Verwandlung meinesLebens entgegenstreben.” Der Erzherzog hörte ihn geduldig an und konnte sich das alles wiederumnicht mit der fremden Prinzessin reimen, es sei denn, daß er ein von deralten Fee verzauberter Prinz sei, wie damals die Geschichten in spanischenRomanen häufig umliefen. Dieser Gedanke, zusammengehalten mit derErscheinung im Landhause, setzte ihn in ein gewisses Staunen, was ihnleicht hätte verraten können, wenn der Kleine nicht allzu berauschtgewesen wäre und seine ahndenden Augen hätte brauchen dürfen. Endlichfaßte doch der Erzherzog einen Entschluß, sagte ihm, das Mittel dergnädigen Frau sei wohlerdacht, er müsse sich jetzt ganz mit Deckenüberspannen und einwickeln lassen, um in einer recht gewaltsamen Dünstungden Kern des Übels auszutreiben. Vergebens seufzte der Kleine, ererschrecke vor sich selbst, als wenn er einen glühenden Ofen anfasse;Braka warf ihm mit beredter Zunge eine Decke nach der andern über, bandsie zusammen und entfernte sich mit dem treuen Bärnhäuter unter demVorwande, als ob sie dem Kleinen etwas zu seiner Erfrischung schaffenwolle. Der Erzherzog war jetzt wieder mit Bella allein, doch mußten sieaus Rücksicht gegen den eingepackten Kranken jedes laute Wort vermeiden;auch war Bella noch sehr beschämt, als der Erzherzog sich auf ein Knieniederließ und zu ihr sprach: “In welchem schönen Bekenntnisse sind Siegestört worden, Angebetete, ich ahnde, Sie sind eines edlen FürstenTochter, ich ahnde alles, was Sie mir zu sagen haben, aber ich wünschtedie Gewißheit aus Ihrem Munde, die Gewißheit Ihrer Liebe, die allen GlanzIhres Standes aufgegeben hat, um dem verhaßten Zwange der Politik zuentgehen. Nichts soll uns scheiden, ich kenne meine Niederländer, siekennen ihre Freiheiten und werden auch meine Freiheit schützen, und selbstwenn die Gewalt über uns siegte, trägt uns das Meer zu einer neuentdecktenreicheren Welt!” Wer könnte es Bella verdenken, die von aller Politik Europas nichts wußte,als daß der Fürst ihr Vater in derselben nicht geachtet, sondern verfolgtworden, daß sie bestimmt glaubte, der Erzherzog habe ihre Abstammungerfahren und erwähle sie zu seiner Gattin. Sie stand mit gerührtem Blickevor ihm, blickte auf und nieder und sprach dann gebrochen: sie habe sichnur einmal verstellen können und nimmermehr wieder, sie leugne nicht ihreAbkunft, sie leugne nicht ihre Zärtlichkeit, die er schon früher in ihremheimlichen Aufenthalte in ihr erweckt, die sein Anblick ihr bestätigt habe. Sie senkte ihr holdes Angesicht, der Erzherzog wollte eben den Rand ihrerLippen berühren, als der Kleine unter den Decken Bewegungen machte,entsetzlich über den Magen klagte und zuschwor, er müßte ersticken, ehe erkuriert sei. Der glücklich Liebende duldet keinen Leidenden, derErzherzog sprang hinzu und öffnete das Gebinde, es dampfte, als wenn mandie Serviette öffnet, worin ein Pudding gekocht worden; der Erzherzog sahihn an, schob das Pflaster leicht von dem triefenden Gesichte undversicherte, er sei schon kuriert; er eile jetzt, um ihm noch ein paarstärkende Mittel zu senden, er möchte sich inzwischen ruhig halten. So eilte er fort, und der Kleine, dem allmählich der Rausch verflogen, derwieder um sich sehen konnte, lag auf dem Bette mit dem seligen Gefühleeines vom Tode Erretteten, der sein Leben sehr lieb hat; er nahm BellasHand, drückte sie und sprach, daß ihm der Gedanke des Todes darum lästiggewesen sei, weil er sie hätte verlassen müssen. Er schien so sanft undzärtlich, daß Bellas alte, gleichsam mütterliche Zuneigung zu ihm nichterlaubte, ihn zum Vertrauten ihrer neuen Liebe und ihres neuen Glücks zumachen. Er küßte sie, wie er gewohnt war, und der Erzherzog, der wiederan seiner Türwarte, an dem künstlich gebohrten Loche, lauerte, ergrimmte,weil er sich von neuem verraten glaubte, doppelt verraten, weil er inseiner Leichtgläubigkeit gegen Bella unverzeihlich kindisch und gutmütigsich erschien. Der Kleine versuchte sich jetzt auf seinen Beinen, und erkonnte wieder gehen und stehen, ordnete seine Kleider und sagte Bella, siemöchte jetzt recht artig sein, er werde den Erzherzog zu ihr führen, undwenn dieser in recht heitrer Stimmung schiene, sollte sie um dieHauptmannsstelle für ihn anhalten, sie möchte aber recht schmeicheln, dasGlück seines Lebens hänge daran; auch wolle er sie dann sicher heiraten.Sie schwieg verlegen. Er vergaß über seine kriegerischen Aussichten soganz alle Krankheitsfurcht und alles Übelbefinden vom Trunk, daß er wievor tausend Mann in dem Zimmer auf- und niederstolzierte und Braka zur Türhinaustrieb, als diese mit ihrem heißen Wasser ihm in die Quere kam. Sosind die meisten kleinen Leute, das Herz ist ihnen so nahe am Kopf, daß esin den Kopf überkocht oder überdampft. Unser Wurzelmännlein konnte sich nicht mehr halten, er bürstete sich baldrechts, bald links; gleich wollte er dem Erzherzoge seine Aufwartungmachen und fiel diesem, der in einem Anfalle der heftigsten Eifersucht Tagund Stunde verfluchte, ins Zimmer. Kaum hatte er sein Anliegenvorgebracht, so überhäufte ihn der Erzherzog mit Schimpfreden, nannte ihneinen lächerlichen, kleinen Wurzelburzius, einen Dukatenmacher, einAlraunchen, daß der Kleine in die größte Verwunderung geriet, wie er dieseseine Entstehung erfahren habe, und sich eilig davon machte, indem erverlegen ausrief: “Gnädiger Herr, woher wissen Sie das?” Als er zurückgekommen, sagte er nichts von diesem Empfange, nur sah es ihmBraka an seinem ganzen Wesen an, daß er gedemütigt worden. Er sprach nur,daß er den Erzherzog nicht getroffen, daß er sich bald fort von dem Ortewünsche, wo ihm in jetziger Pestzeit jeden Augenblick eine neue Gefahrdrohe; zugleich erkundigte er sich, ob der Arzt nichts gesendet. Braka,um ihren Aufenthalt zu sichern, ging selbst über die Straße in den Ladeneines reisenden jüdischen Doktors, kaufte die stärksten Tropfen, welchemanchen Sterbenden schon belebt hatten, und brachte sie dem Kleinen alsetwas, das der belobte Arzt im Hause abgegeben. Kaum hatte der Kleinediese Höllentropfen eingenommen, so kam ihm der alte Mut wieder zurück.Er hätte rasend werden mögen, daß er dem Erzherzoge nicht derb geantwortethatte; ihm fiel so viel Beißendes ein, daß er, bloß um es ihm oder einemseines Gefolges aufzuhängen, sich leicht bereden ließ, den Tag noch imOrte zuzubringen. Es war jetzt die Zeit des höchsten Tumultes herangerückt. Die Rennen aufumgesattelten Pferden, wo der Reiter einer Gans, um sie zu gewinnen, denFaden, der sie an einem Seile aufgehängt hält, mit der Schere abschneidenmuß, hatten angefangen; das Wiehern der Pferde, das Lachen der Menge überdie getäuschte Zuversicht, die sich im Sande erniedrigt fand, rief allesherbei; auch unser Wurzelmännlein führte seine Damen zu diesem Schauspiele.Kaum war er dort, so verlor er aus Eifer die beiden Frauen fast ganzaus dem Gesicht, so daß Braka ihre Pflegetochter etwas überhören konnte.Bella erzählte ihr, daß der Erzherzog sie heiraten wolle; Braka sagte, dashätte seine schlimme Seite, sie könnte darüber ins Zuchthaus kommen, abersie möchte ihm nur dreist und ohne Umschweife zu verstehen geben, daß sieein Kind von ihm haben möchte, daß dies ihres Volkes Glück sei, so würdesich alles von selbst ohne weitere Einsegnung finden. Bella versprach,nach ihrer Vorschrift ihm alles zu sagen, wenn die Gelegenheit käme.Diese wurde aber durch den Zorn des Erzherzogs auf eine wunderliche Artherbeigeführt. Er hatte seine rasende Eifersucht ohne alle Zögerungseinem Freunde Cenrio verraten, dem sogleich ein trefflicher Einfallgekommen war. Er hatte bei einem Guckkasten einen gelehrten Juden ausPolen wiedergefunden, der ihm schon früher durch seine Kunst, Golems zumachen, manche Ergötzlichkeit verschafft hatte. Diese Golems sind Figurenaus Ton nach dem Ebenbilde eines Menschen abgedruckt, über welche dasgeheimnisreiche und wunderkräftige Schemhamphoras gesprochen worden, aufdessen Stirn das Wort Aemaeth, Wahrheit, geschrieben, wodurch sie lebendigwerden und zu allen Geschäften zu gebrauchen wären, wenn sie nicht soschnell wüchsen, daß sie bald stärker als ihre Schöpfer sind. Solange manaber ihre Stirn erreichen kann, ist es leicht, sie zu töten, es brauchtnur das Ae vor der Stirne ausgestrichen zu werden, so bleibt bloß dasletztere Maeth stehen, welches Tod bezeichnet, und im Augenblicke fallensie wie eine trockene Tonerde zusammen. Der alte Jude wurde herbeigeholt, der Erzherzog verlangte ein solches Bildder schönen Bella und er wolle ihn fürstlich lohnen. Der Jude warnte ihn,er möchte sich mit solchem Bilde nicht abgeben, in seinem Vaterlande seimanches Unglück damit geschehen: einem Vetter sei der Golem, den er zuhäuslichen Diensten gebraucht, so hoch gewachsen, daß er ihm nicht mehr andie Stirn habe langen können, um das Ae auszulöschen; da habe er befohlen,er sollte ihm die Stiefeln ausziehen, und während sich der Golem danachgebückt, habe er ihm listig das Ae von der Stirne gewischt, aber die ganzeLast der Erde sei auf den armen Vetter gefallen, und er sei davon erdrücktworden. Der Erzherzog schwor, daß ein solcher Unfall dem nicht schade,dem er ihn bereiten solle, doch eine neue Schwierigkeit sei zu überwinden,wie das Bild der schönen Bella ähnlich zu machen sei. Der Jude verlangte,sie nur einmal in seinen Kunstspiegel einsehen zu lassen, so bleibe ihrBild darin festgemalt. Der Kunstspiegel steckte in einem Guckkasten, unddie ganze Kunst war, Bella zu demselben hinzulocken. Cenrio, der denWurzelmann kannte, übernahm diese Besorgung, ihn und seine Schöne zu demGuckkasten zu führen, während der Erzherzog verkleidet hinter demGuckkasten versteckt war; alle eilten an ihren Posten. Cenrio traf denKleinen noch bei dem Pferderennen; er sagte ihm heimlich ins Ohr, er sollesich den Zorn des Prinzen nicht zu Herzen nehmen, ein geheimer Feind vonihm habe dem Prinzen eine verhaßte Erzählung von seinem Betragen gegen dieSchauspieler gemacht; doch sei dieser Eindruck noch zu überwinden, wenn erbehaupte, daß er einmal von einem tollen Hunde gebissen sei. Der Kleinewurde froh und nötigte ihn, bei der Gesellschaft zu bleiben, indem er ihmseine Braut vorstellte. Cenrio sagte ihr manches Artige und bat sie, dochja einem Guckkasten nicht vorbeizugehen, der eine Welt im Kleinen, alleStädte, Völker in bunten Bildern zeigte. Sie gingen dahin, Bella sahzuerst hinein, ungeachtet der neugierige Kleine nur mit Mißgunst dieseArtigkeit erlaubt hatte; sie war überrascht von aller Herrlichkeit undhätte gern die ganze Vorstellungsreihe noch einmal übersehen, wenn nichtdes Kleinen Ungeduld sie von dem Glase zurückgerissen hätte. Er war ganzaußer sich über alles, was er erblickte: in jeder Stadt dachte er sich alsFürst; sah er fremde Soldaten, so prüfte er sich, wie er als Heerführer inder Tracht sich ausnehmen würde. In dieser Zeit hatte sich der Erzherzog leise in ein Gespräch mit Bellaeingelassen. Er warf ihr die schändliche Falschheit vor, mit der sie ihmLiebe geheuchelt, um dem kleinen Bräutigam eine Hauptmannsstelle zuverschaffen. Bella brach in Tränen aus und schwor ihm, es sei allesanders, ihre Liebe zu ihm sei ungeheuchelt, ja, es sei ihr edelster Wunsch,von ihm ein Kind zu haben, das ihrem Volke Glanz und Freiheit gebe.Diese Freimütigkeit setzte den Erzherzog in einige Verlegenheit (sie wartiefinnerlich unschuldig, er aber war nur unschuldig aus Stolz); er schworstammelnd, daß er alles Mögliche tun wolle, ihren Wunsch zu erfüllen, derauch seinem politischen Verhältnisse angemessen sei. Unter solchen Versicherungen führte er sie, ohne daß es der Kleine merkte,während Braka ihnen Zeichen zum Abzuge gab, ungestört von dannen. Der Kleine hatte diese Welt im kleinen schon zweimal angesehen, und siegefiel ihm viel besser als die wirkliche, während der Jude unter allerleiGesprächen mit Cenrio das Ebenbild der feldflüchtigen Bella bearbeitete.Cenrio bat den Juden, ihm doch nur eine Möglichkeit anzugeben, wie solchein Bild belebt werden könne. Der Jude sprach: “Herr, warum hat Gott die Menschen erschaffen, als allesübrige fertig war? Offenbar, weil das in ihrer Natur lag, als diese vonGott sich losgedacht hatte. Liegt das in ihrer Natur, so bleibt’s auch inihrer Natur, und der Mensch, der ein Ebenbild Gottes ist, kann etwasÄhnliches hervorbringen, wenn er nur die rechten Worte weiß, die Gottdabei gebraucht hat. Wenn es noch ein Paradies gäbe, so könnten wir soviel Menschen machen, als Erdenklöße darin liegen; da wir aberausgetrieben aus dem Paradies, so werden unsre Menschen um so vielschlechter, als dieses Landes Leimen sich zum Leimen des Paradiesesverhält! Als er das gesprochen, hatte der alte Jude sein Werk beendigt, er hauchtedie Bildsäule an, schrieb das Wort auf ihre Stirn, das sich unterHaarlocken versteckte, und eine zweite Bella stand vor beiden, die allesdurch jenen Spiegel wußte, was Bella bis dahin erfahren, die aber nichtsEignes wollte, als was in des jüdischen Schöpfers Gedanken gelegen,nämlich Hochmut, Wollust und Geiz, drei plumpe Verkörperungen geistiger,herrlicher Richtungen, wie alle Laster; daß diese hier ohne die geistigeRichtung in ihr sich zeigten, das unterschied sie selbst vom Juden,überhaupt aber von allen Menschen, die sie übrigens so wunderbar täuschenkonnte, wie jenes alte Bild von Früchten alle Vögel, daß sie an dieLeinewand flogen und davon zu naschen suchten. So naschten auch Cenriound der alte Jude an dem Bilde, jeder gab ihr einen Kuß, ehe sie dieselbean den Arm des Kleinen hingen, der endlich sich satt gesehen hatte und mitseiner Bella durch die übrige Lust des Abendgewühls, wo jetzt schonmanches Messer unter den trunkenen Bauern gezogen wurde, sich nach Hausezurückzog. Braka war des Austausches der beiden Gestalten so wenig innegeworden wie der Kleine. Sie speisten alle drei in einer gewissenStummheit miteinander, die nach den geräuschvollen Abwechselungen eines sowunderlichen Tages sehr natürlich war. Als sie abgesessen hatten, kam derBärnhäuter mit einem halbzerkratzten Gesicht ins Zimmer und sprach: “Sohat mich das verfluchte Weib, die Frau Nietken, zugerichtet, die in ihrerTrunkenheit ein Auge auf mich geworfen hatte und mich nicht loslassenwollte, da ich doch so dringende Neuigkeiten mitzuteilen habe. Sie hatmir verraten, daß der Erzherzog einen Anschlag auf unser Fräulein vorhabenmüsse, weil er sich so heftig nach ihr erkundigt habe.” Golem Bella, die nur bis zu dem Punkte etwas von der wirklichen Bellawußte, wo sie in den Spiegel gesehen, rief ganz laut: “Wie lieb ist mirdas, da werde ich ein Kind bekommen, das mein Volk frei machen wird!” Braka erschrak über diese laute Vertraulichkeit, und der Kleine sprang wieein Rasender auf: “Also, du weißt davon, Bella, liebst ihn?” “Freilich”, antwortete Golem Bella. Der Kleine riß sich die Hirsenhaare aus und erstickte fast in gekränkterEitelkeit, endlich brach sein Jammer, nach der Vorschrift seinesrhetorischen Lehrers bearbeitet, in folgenden Worten aus: “Warum hast dumich zum Menschenleben aus dem sichern Schoße meiner Vorwelt durchhöllische Künste herausgerissen? Ohne Falsch bestrahlten mich Sonne undMond; ruhig sinnend stand ich da am Tage und faltete abends meine Blätterzum Gebete; ich sah nichts Böses, denn ich hatte keine Augen, ich hörtenichts Böses, denn ich hatte keine Ohren, aber die Anlage zu allem, dieich in mir fühlte, machte mich so sicher und reich. Meine Augen werde ichmir ausweinen und werde sie vermissen, mein Leben werde ich aufgeben undwerde es ewig suchen, aber dieses Suchen soll deine Qual sein; wenn dumich fern von dir glaubst, werde ich bei dir sein. Du kannst mich nichtzerstören, wie du mich leichtsinnig spielend geschaffen hast; ich bleibebei dir, werde die Wünsche deiner Habsucht nach Geld befriedigen, werdedir Schätze bringen, soviel du verlangst, aber es wird dein Verderben sein.Du wirst mich von dir werfen, mich vernichten wollen, aber doch bleibeich bei dir, dir bin ich gebannt, bis eine andre mit noch größerem Verrat,als du gegen mich verübt, mich an sich kauft. Wehe allen kommendenGeschlechtern! Du brachtest mich zur Teufelei in die Welt, von der ichmich bis zum jüngsten Tage nicht frei machen kann!” Golem Bella sprach ihm ganz in der Gesinnung der echten Bella von ihrerZärtlichkeit vor, die sie trotz aller Liebe zum Erzherzoge für ihn hegte.Der Kleine sah sie verwundert an und sprach: “Du könntest mich wiederbelügen, Bella; wer weiß, was diese Nacht mit dem Erzherzog verabredet ist.Gib mir ein Zeichen der Aufrichtigkeit. Der Mond scheint helle, wirfahren in der herrlichsten Kühlung bis zum nächsten Morgen nach einemDorfe, wo wir in aller Stille getraut werden können, so kehren wirverbunden nach Gent zurück, um es bald auf immer zu verlassen, daß derglattzüngige Erzherzog uns nicht mehr versuchen kann. Wir reisen nachParis, und ich erbiete meinen kriegerischen Mut dem Könige von Frankreich,der tapfere Männer, wenn sie auch klein von Gestalt sind, doch zu schätzenweiß.” Golem Bella schwieg still, sie hatte keinen Willen und keine Redensart aufdiesen Fall. Der Kleine legte sich das zu seinen Gunsten aus, und alsBraka noch etwas dazwischen reden wollte, zog er seinen Degen und schwor,ihn mit ihrem Blute zu färben, wenn sie sich seinem Glücke widersetzte.Braka schüttelte sich vor Schrecken; sie konnte keinen Bissen essen. DerKleine befahl dem Bärnhäuter, zusammenzupacken und einen Fuhrmann, eskoste was es wolle, anzuschaffen, der sie nach dem nächsten Pfarrdorfeführe, da in Buik, wegen der Nachtmessen, wohl kein Pfarrer zu einerTrauung bereit sein möchte. Der Bärnhäuter betrieb alles, aus Furcht vorder trunkenen Wirtin, mit dem größten Eifer und mit der lobenswertestenVerschwiegenheit. Der Wagen stand vor der Türe, alle saßen darin, eheFrau Nietken etwas merkte. Ihrem widersinnigen Geschrei zu entgehen,wurde ihr das Dreifache, was sie fordern konnte, zugeworfen; und diesonderbare Gesellschaft, eine alte Hexe, ein Toter, der sich lebendigstellen mußte, eine Schöne aus Tonerde und ein junger Mann, aus einerWurzel geschnitten, saßen in feierlicher Eintracht, hegten große Gedankenvom Glück des Lebens, das sie eben zu begründen fuhren, von Schätzen,Heldentaten und Biergeldern, auf die der Bärnhäuter bei dieserFestlichkeit ungemein rechnete. Wie vergebens quält uns das Verhältnis zumanchen Menschen; könnten wir uns einbilden, er sei ein Toter, eineErdscholle, eine Wurzel, unser Kummer und unser Zorn müßte verschwinden,wie aller Gram über unsre Zeit, wenn wir nur endlich gewiß wüßten, daß wirbloß träumten. Wenn es sich in stürmender Nacht zuweilen in Blumenbeeten ereignet, daßein paar getrennte Blumenkelche zusammengebeugt werden und sich nichterkennen, bis der Mond wieder hervortritt, so ist die Freude stumm, dieGrillen singen aber davon die lange Nacht bis zum Morgen, wo die Vögel sieablösen. Der Erzherzog wollte sich rächen wegen des Verrats an seinerLiebe, das machte ihn gegen jede Sorglichkeit Bellas taub, die nicht wußte,was mit ihr vorgehe, als er sie heimlich auf sein Zimmer in sein Bettegebracht. Beide waren eingeschlafen, als der Gesang: De profundisclamavi ad te, Domine: Domine, exaudi vocem meam in der Kirche, die nichtfern lag, sie erweckte: ein Gesang, in den die Haufen auf den Straßen, diedarin nicht mehr Platz finden konnten, einstimmten. Es war eine helleSommernacht, und beide eilten ans Fenster. Bella erwachte erst jetzt ausihrem Taumel: “Heiliger Gott, ist es schon so tief in der Nacht, wie sollich in mein Bette kommen, wo bin ich, was ist mir geschehen, was soll ausmir werden?” Der Erzherzog hatte sie zu lieb gewonnen, seine Freude war ihm zu neu, umsie durch eine Erinnerung an ihre Falschheit zu kränken: “Du sollst nunauf immer bei mir bleiben, wir verlassen uns nicht, wie Leib und Seele!” “Ist es wahr?” fragte Bella treuherzig, “da bin ich sehr glücklich!” Der Erzherzog verwunderte sich: “Aber deine Heirat mit Cornelius, willstdu die aufgeben?” “Bin ich nicht dein?” fragte sie, “soll ich nicht ein Kind von dir haben,das mein Volk zur Heimat führt?” “Welchem Volke gehörst du, liebes Mädchen?” fragte der Erzherzog,“betrüge mich nicht; fürstlich muß ich dich nennen, aber ich möchte wissen,ob das Schicksal dir gerecht war und dich einem Fürstenstammeeinsegnete?” “Mein Vater war Fürst Michael von Ägypten”, sagte Bella gerührt, “ich binder letzte Zweig des alten Geschlechtes, das sich bei allen Umwälzungenoft siegreich, oft fliehend, doch in steter Unabhängigkeit erhalten hat,so sagte der Vater. Ich bin das letzte Kind aus meinem Stamme; mein Vaterstarb in den Verfolgungen, die über unser Volk ausbrachen; eine alteWahrsagung bestimmt, daß ein Kind von mir und einem Weltbeherrscher dieletzten Unglücksscharen unserer verfolgten Untertanen zum segensreichenNil würde führen.” “Ich traue deinen Worten ganz”, sprach Karl, “doch sage an, wie war esmöglich, da dich so großer Sinn trug, dich gegen mich mit deinem kleinenFreunde zu verbinden? Wie konntest du dich mir hingeben wollen, ihm eineAnstellung zu schaffen? Nun ich dich hier so schön und heilig sehe vormir stehen in dem Mondenscheine, da möcht’ ich meine Ohren Lügen strafen;doch hörte ich es, als ich nach deiner Schönheit durch die Türe lauschte,und wollte im Genuß mich an dir rächen; doch hat mich diese Lust bezwungen,und ich bekenne dir jetzt meine Wut!” Bella verstand ihn nicht, er schien ihr lauter Güte. Sie lachte seinesArgwohns und erzählte ihm so natürlich alles, wie sie durch Braka zu einerNachgiebigkeit gegen die wunderlichen Launen des Kleinen beredet wordensei; zugleich vertraute sie ihm unter dem Versprechen der Verschwiegenheitdessen geheimnisvolle Entstehung. Der Erzherzog, aus der gewohntenfolgerechten Natürlichkeit in alle Wunder der Lust und der geheimen Kräftein einer Nacht hineingerissen, versank in ein tiefes, ernstes Nachdenken;er stand innerlich, wie ein Stern hinaufgerissen, über der Welt, mit derer bis dahin fortvegetiert hatte; was er künftig täte und spräche, allesschien ihm bedeutsam. Er hatte ein reiches Geheimnis, das er sichbewahren wollte und dessen er selbst seinen Cenrio nicht würdig achtete:wie er seine Liebe fortführen sollte, beschäftigte ihn mit stillem Ernste. “Bist du nicht glücklich wie ich?” fragte Bella -, “alles ist mir somerkwürdig, und wie alles hat so kommen müssen. Denn wie ich mit dirgegangen, ahndete ich von allem dem nichts; und sieh, wie die Spinnwebenam Baum im Mondschein sichtbar glänzen, während ich das Tauwerk desSchiffes dort im Dunkel nicht unterscheiden kann: so fühle ich höhere Wegeund ahnde doch nichts, was mir in den nächsten Tagen bevorsteht. DerKleine ist böse, merkt er, daß ich mich ganz zu dir wandte, von ihm kommtunser Reichtum, er wird uns alles versagen, kannst du mich dann ernähren?” Der Erzherzog ließ eine Träne fallen: “Ach, liebes Kind, durch die Härtemeiner Eltern bin ich sehr beschränkt; für die törichte Lust an Pferdenhabe ich mich tief verschuldet, meine Lehrer dürfen mir gar kein Geld mehreinhändigen, sondern sie bezahlen, was ich brauche. Aber für dich schaffeich Geld, und sollte ich mein künftiges Reich verpfänden.” Bella küßte ihm die Augen und schwor, es sei nur ein Nachsprechen vonihrer Tante gewesen, wenn sie über ihre Zukunft sich so bedenklichgestellt hätte; wenn sie aus ihrem Herzen spreche, so sei ihr die ArtStaat, die sie in Gent um sich gesehen, lästig, ihr Anzug quäle sie, undjede Stunde sei zu allerlei Beschäftigungen, die ihr verhaßt wären,abgemessen. “Was soll ich Spanisch und Latein sprechen? Was bedarf ich’s,Amo, ich liebe, Amas, du liebest, zu lernen? Ich weiß ja nichts andres,als daß ich dich liebe und daß du mich liebest.” Sie umarmten sich stilltraulich, als Cenrios Stimme plötzlich an der Türe schallte; er sagte, daßAdrian von dem Orte forteile, weil er ein wunderbares Sternzeichenentdeckt. Gleich darauf hörte der Prinz Adrians heftiges Husten, triebBella in das Seitenzimmer, wo der Kleine krank darnieder gelegen hatte,und eilte den eigensinnigen Adrian zu besänftigen. Dieser war aber außerFassung; er schwor, daß diese Nacht den wunderbarsten Sohn der Venus unddes Mars gezeugt habe, er müsse zu seinen Büchern, um die Beobachtungenweiter zu vergleichen; er meinte im Erzherzoge gleiches Interesse für dieBeobachtung und hörte dessen Einwürfe kaum. Er war ein echter Hofmeister,der in seinem Schüler seine Gedanken voraussetzte und durch ihn seineZwecke verfolgte. Der Prinz war aber seiner Willkür ganz überlassen undmußte endlich folgsam sich anziehen, um mit ihm nach Gent zurückzukehren.Gern hätte er seiner lieben Bella noch ein Lebewohl ins Seitenzimmergerufen; doch fürchtete er dadurch ihre Verbindung den Ihren zu verraten,da er so wenig von dem Schicksale der Golem Bella wie von der Abreiseseiner Nachbarn in der Eile durch Cenrio unterrichtet werden konnte.Sorgen machte er sich am wenigsten heute, wo sein Herz in den erstenFreuden der Liebe schwebte und nachschwelgte. Die ganze Welt war ihmaufgegangen, er dachte weder an Pferde noch an Jagdhunde, zum erstenmalwar ihm die zärtliche Saite seines Herzens angeklungen, die noch im spätenAlter im Lager bei Regensburg bei den Tönen einer schönen Harfenspielerinnachklang, als Krankheit und Sorge um seine Lieblingswünsche ihn schon vonder Welt loslösten. Vielleicht wäre aus ihm nie der Unermüdliche, dernach allem griff, alles zu verbinden strebte, geworden, wenn ihn nicht dasGeschick so rasch aus diesem Verhältnisse, das seine ganze Seelebefriedigen konnte, herausgerissen hätte. Nachdem das Geräusch seiner Abreise vorübergegangen, währenddessen Bellakaum durch die Scheiben ihm trübe nachzublicken wagte, als das Schiff imDunkel anfing zu schwanken, die weißen Segel sich ausbreiteten und dieRuderer endlich das Wasser anregten: Ach, dachte sie, die mächtige Gewaltdes Tauwerks, das sich vorher unserm Blicke verbarg, tritt so schnellhervor, uns zu trennen, wird es auch eine unsichtbare Gewalt geben, dieuns wieder verbindet? Als sie sich in den Gedanken an ihn recht ersättigt und gestärkt hatte,öffnete sie leise das Nebenzimmer, wo sie mit Braka schlafen sollte, waraber verwundert, die Fenster offen, die Betten geschlossen und denReisekoffer nicht mehr an Ort und Stelle zu sehen. Sie nahte sich demBette der Alten, rief sachte, endlich lauter; aber alles blieb still, undsie sah jetzt im Mondenscheine, daß keine Spur ihrer Anwesenheit mehr zusehen als schmutziges Wasser im Becken und einige nasse Handtücher, überdie Stühle gehängt. Bella konnte sich das alles nicht erklären; aber siehatte auch kein Schrecken darüber. Sie ging endlich in das dritte Zimmer,das Cornelius bewohnen sollte, schüchtern und leise, fand aber auch hierniemand. Erst jetzt machte sie ihre Verlassenheit ängstlich, sie kannteniemand im Hause als die widrige Frau Nietken; doch lieber wollte sieheimlich entlaufen, ehe sie ihre Zuflucht zu der genommen hätte. Aber Zufall führte sie ihr entgegen. Es wollten sich ein paar alteEdelleute bei Wein und Spiel mit Mädchen erlustigen, und sie hatte keineandre Zimmer frei als diese von der Brakaschen Familie und von demErzherzoge verlassenen. Sie kam mit einem Licht, alles darin aufzuräumen,und erschrak wie vor einem Gespenste, als sie Bella vor sich erblickte. “Was ist Euch, Frau Nietken, wo ist meine Mutter?” “Ei, Jesus Maria”, seufzte die Alte, “da muß ich doch gleich was aufmeinen Schreck nehmen; haben Sie was vergessen gehabt, liebes Fräulein?ei, ei, das muß Sie so lange aufhalten! wie weit waren Sie denn schon?bei mir wär’s so sicher aufgehoben, und wenn’s ein Scheffel mit Goldgewesen.” Bella konnte sich diese Reden nicht erklären; sie fragte nachihrer Mutter, wohin sie gefahren, und kam dabei in Verlegenheit, wie siees ihr erklären solle, daß sie nichts davon wisse. Dadurch ward FrauNietken, die sich sogleich der Ausfragerei des Erzherzogs erinnerte, kluggenug, irgendein geheimes Einverständnis mit diesem anzunehmen, und da sievon diesem oder vielmehr von Adrian, der die Kasse führte, schlechtbezahlt worden, so suchte sie sich durch diese Entdeckung schadlos zuhalten. “Ei”, schloß sie ihre Rede mit einem wunderlich ernsthaftenGesichte, “das hätte ich von einem gnädigen Fräulein mein Seelen nichtgedacht, daß Sie sich so schlecht aufführen würden. Pfui Teufel, meinguter Ruf leidet es nicht, die Jungfer Demut muß in die Wache; sie sollausgestäupt werden auf öffentlichem Markte zur Warnung!” Bella zitterte in Scham und Ärger. Sie sah und hörte nichts mehr, so ausdem Glücke in die entsetzlichste Hilflosigkeit und Verachtung gestoßen,ohne irgendeine Welterfahrung; kaum konnte sie glauben, daß sie dieselbesei, so schauderte ihr vor ihrem Zustande. Nicht das Unglück, aber dieSchande, die ihr so unvermeidlich nahe schien, konnte die Sicherheit ihresfürstlichen Gemütes vernichten; sie weinte und warf sich auf einen Stuhl. Frau Nietken ließ diese Verzweiflung noch tiefer in ihre Seele fressen, umsie zu dem Vorschlage, hier zu bleiben und ein paar alten guten Edelleutendie Zeit zu vertreiben, vorzubereiten. Bella, als sie ihn erfuhr, ahndetenichts Schlimmes, sie meinte allenfalls, daß sie ihnen aufwarten, denTisch decken solle, und entschloß sich gern dazu, um ungekränkt am andereTage zur alten Braka zurückzukommen. Aber alles, was sie an Unmut in sichspürte, setzte sie heimlich in Reden um, die sie der alten Braka rechtscharf ans Herz legen wollte. Frau Nietken war sehr vergnügt, sie so willig zu finden. Als die beidenalten Herren hereintraten, sperrten sie beide über die wunderbareSchönheit der Bella ihre Augen weit auf und entschuldigten sich, daß siein ihr Zimmer gekommen wären: wer konnte sich einbilden, in der Gewalt derFrau Nietken eine so junge, blühende Schönheit zu treffen. Als aberdieser Irrtum berichtiget war, indem Bella ihnen schüchtern sagte, daß siezu ihrer Aufwartung bestimmt wäre, so erwachte in dem raschen Liebesfeuer,das Nasen und Wangen der beiden Alten durchglühte, eine Eifersucht, denBesitz dieser seltenen Jugend einander nicht zu gönnen, dergestalt, daßjeder seine Stirnfalten hinaufrückte und einer List nachsann, den andernzu entfernen oder bei der Frau Nietken zu überbieten. Während sie nun aushohen Gläsern den Wein tranken und miteinander im Brett spielten, benutztees der eine nach dem andern, während jener am Zuge, mit Frau Nietkenheimlich ein Wort zu reden, die in seliger Erwartung, wie hoch sie diearme Bella in dieser Versteigerung hinauftreiben werde, sehr vieleSchwierigkeiten in Hinsicht ihres Besitzes aufzuzählen wußte. Bella warin ihres Stammes Natur zu klug, um die Gefahr nicht einzusehen, worin ihreLiebe und ihre Freiheit schwebten; die alten Herren erlaubten sich schonmanche unbequeme Zudringlichkeit, und sie sann auf einen Anschlag, wie siedem Hause entkommen möchte. Aber was sie auch erfinden mochte, sie war zustrenge belauscht, und niemand gestattete ihr unter irgendeinem Vorwandedas Zimmer zu verlassen. Die beiden Alten, je mehr sie tranken, wurdenimmer heftiger, sie sprachen von ihren Kriegszügen und fingen an sich zustreiten. Die Wirtin fürchtete, sie möchten zu den alten rostigen Degengreifen und ihre Tassen und Gläser zerschlagen; sie war deswegen sehrerfreut, als sie eine Musikantenbande, wie sie damals häufig auf denKirmessen der Niederlande anzutreffen waren, die vor dem Fenster mitKüchenmörseln auf Rosten zum Gesange klapperten, in das Zimmer rufenkonnte. Das lustige Völkchen, unter großen Mänteln und Larven versteckt,trat ins Zimmer, sah sich um und sang, wie sie die beiden alten Herren sozärtlich gegen das junge Mädchen erblickten, vom Glück des Alters, dasnoch lieben kann und geliebt wird: Väterchen, sang JugendmutAus der Lippen rotem Blut,Mische Honig zu dem Wein,Und er wird dir lieblich sein;Zünde auch ein Feuer an,Daß sich Amor wärmen kann:Sieh, der lose kleine BubKommt auf Stelzen in die Stub’. Bella stellte sich bei diesen Worten, als ob sie den alten Herren denguten Willen durch Zuvorkommen erwecken wollte, sie trat zu den Musikantenund sagte, daß sie mit ihnen singen wollte, sie sänge recht hübsch, dochmüßten sie ihr Tracht und Larven leihen. Frau Nietken war seelenvergnügt,daß sie sich so leicht in ihr Schicksal gegeben: “Herzchen, tanz”, sagtesie, “daß die Röcke übern Kopf fliegen, den Herren will ich ein GlasMalaga einschenken.” Bella benutzte diese Zeit, einer Musikantenfrau jene kostbareDemanthalskette, die Cornelius damals in dem Stiefel entdeckte und ihrumhing, anzubieten, wenn sie unter ihrer Larve entfliehen könnte und jenean ihrer Stelle zurückbleiben wollte. Das Weib war mit dem Gebot sehrzufrieden, sollte es darüber auch Händel geben; die Musiker waren ihrersechse, die an Raufereien, wie andere Menschen ans Kämmen, gewöhnt waren,und weil sie nichts als einige alte Lumpen zu verlieren hatten, nur immerdabei gewinnen konnten. Die Umkleidung war hinter dem Schirme baldvollendet, und Bella entwich, während ihre reiche Haube von Gold und ihreHalskette an dem verlarvten Weibe den alten verliebten Toren herrlichentgegenglänzte; das Weib tanzte, und ihre Sprünge schienen ihnen soreizend, daß einer nach dem andern aufsprang und ihr um den Hals fiel.Endlich entfiel ihr bei diesem abwechselnden Zugreifen die Larve, und diealten Herren erschraken nicht wenig, ein fremdes, abgelebtes Gesicht zusehen, das sie mit rechter Bosheit verlachte. “Wo ist Bella, ihrSpitzbuben?” schrie Frau Nietken, und statt der Antwort warf sie einderber Faustschlag des einen Musikanten darnieder. Die alten Herrensprangen zu, aber mit ihnen wurden die rüstigen Kämpfer noch schnellerfertig; sie knebelten sie, nahmen ihnen die vollen Geldbeutel, mit denensie Frau Nietken bestechen wollten, aus den Händen, verschlossen die Türeund flüchteten sich aus dem stillen Hause, wo alles von den Rasereien desTages im Frühmorgen darniederlag, in das Freie; sie hatten genug gewonnen,um allen Untersuchungen aus dem Wege zu gehen. Bella hatte sich unterdes mit einer Schnelligkeit auf den ihrwohlbekannten Fußpfad nach Gent begeben, daß sie sich nach einer Stundeganz erschöpft hinter einen Dornstrauch versteckte, um ein wenig sich zuerholen. Es zog allerlei betrunknes Volk vorüber, was auch von der Kirmeskam, aber keiner bemerkte sie, nur die Hunde schnupperten und bellten siean; da aber der Dornstrauch als Grenze einer Feldmark sie versteckte undauch mancherlei Knochen den gewöhnlichen Gebrauch dieses Ortes verrieten,so gab lange Zeit niemand auf sie Achtung. Sie verfiel in einen tiefenSchlaf, aus dem ihr das Bewußtsein erst am folgenden Abende wiederkam.Nun konnte sie zwar in dem krampfhaften Zustande, der sich ihrerbemächtigt hatte, selbst dann noch nicht ein Glied erheben oder die Augenaufschlagen, doch hörte sie in einzelnen Momenten, was ringsumher auf demWege gesprochen wurde. Sie hörte das Bellen eines Hundes, wie in dichter,nebeldunkler Nacht der verirrte Schiffer davon überrascht wird, aus einemunbemerkt angenäherten Schiffe; jetzt hörte sie auch Stimmen, und siemerkte aus der Art, wie sie sprachen, daß es ein paar Flurschützen von denbeiden aneinanderstoßenden Dörfern wären. Der eine sprach: “Hör, Peter,das tote Weib liegt auf deinem Grund und Boden.” “Soll es gelten”, antwortete der, “und wir müssen sie auf unsere Kostenbegraben lassen, so leg ich hier einen großen Stein in die Erde, und dasStück gehört unser, und die Grenze kommt jenseits.” “Den Teufel nein”, sagte der andre, “du bist verflucht gerieben und bistnoch ein halbwachsener Bengel, ich hätt’ sie euch gern aufgeladen, ja dawerden wohl beide Gemeinden die Leichenbestattung zusammen bezahlen müssen,das macht viel Mühe und Kosten und gibt sicher noch Streit.” “Hör, Alter”, sagte der andre, “ich hab ein Kunststückchen vom vorigenalten Flurschützen, dem rothaarigen Benedikt, gelernt, der sagte immer:wenn ich einen Toten finde, so seh’ ich’s ihm gleich an, er sieht sogrämlich aus, bei uns will er nicht gern begraben sein: ei nun, sein Willegeschehe, ich mache ein Kreuz über die Schelde, werf ihn hinein, und wo erans Land treibt, da will er gern hin–aber, Bub, es muß niemand sehen.” “Hör, Peter, der Gedanke ist so dumm nicht; siehst du niemand, wir fassenzusammen an und tragen sie ins Wasser.” Bella wollte rufen, aber sie vermochte auch nicht die kleinsteLebensäußerung zu zeigen; schon griffen die beiden Leute sie an, als derjunge Flurschütz rief: “Halt, laß liegen, was führt der Teufel da füreinen struppigen Kerl vom Galgenberge herunter, laß uns nach den Wiesengehen, in zwei Stunden ist’s dunkel, da sieht uns niemand.” Bei diesenWorten gingen sie miteinander die Grenze herunter, und Bella war von derunsäglichen Angst in einen wunderlichen Traumzustand übergegangen, inwelchem sie den Vater mit herrlicher Krone auf der ägyptischen Pyramide,die er ihr oft gezeichnet hatte, sitzen sah; seine Beine waren aberaneinander gewachsen und seine Hände an den Leib gelegt, und sie fragteihn ganz ruhig: “Deine Hand kannst du mir wohl nicht mehr reichen wiesonst?” “Nein”, sagte er, “sonst hätte ich dir eben beigestanden; sonst hätte ichdich früher zurückgehalten, als du den Alraun gegraben: sei froh, du bistfrei von ihm! Du bist gesegnet, ein Kind zu tragen, das unser Volk heimführt. Du aber wirst noch Trauer erleben, sei aber furchtlos wie einNachttau, welcher der Sonne entgegengeht und sie anblickt, auf daß sie ihnvon hinnen nehme.” Nachdem dies Traumgesicht ihr entschwunden, wachtesie auf. Die Sonne war im Sinken, und sie konnte sich erheben und fühltenur Ermattung noch in allen Gliedern. Sie schlich langsam der Stadt zuund ging mit einem Seufzer bei dem verlassenen Landhause vorüber, das ihreJugend geschützt hatte: es war ihr jetzt zu eng, zu klein, und sie eiltenach dem Hause, wo sie vor drei Tagen mit wunderlichen Erwartungenausgefahren war. Zutraulich bewegte sie den Klopfer der Tür, es trat ihrdie bekannte Magd entgegen, sie fiel ihr um den Hals; diese aber tratzurück und kannte sie nicht. Als sie sich nannte, schrie das Mädchen auf,ließ den Blaker fallen und lief hinauf zur Herrschaft und schrie, daß siees hören konnte: “Jesus Maria, da ist noch eine Bella!” Braka, Cornelius und seine junge Gemahlin, die Golem Bella, stürzten zumZimmer hinaus, die Ankommende zu beschauen. Wie läßt sich allesgegenseitige Erstaunen malen? Braka wußte durchaus sich nicht zu fassen;Golem war gleichgültig, als wäre sie ihrer Sache zu gewiß, um sich inihrer eignen Person zu irren. Bella weinte; von der Müdigkeit, vom Hungererschöpft, hatte sie kaum die Kraft aufzublicken. Cornelius, der sich aufeinmal im Besitze zweier Frauen sah und durchaus jetzt nicht begreifenkonnte, wozu er überhaupt eine genommen, sprang wie ein brennender Frosch,so nennen es die Feuerwerker, zwischen allen herum, fluchte und schimpfteund wußte eigentlich selbst nicht, was er sagen sollte. Die Magd undBraka kamen zuerst darauf, unsere Bella möchte doch wohl die echte sein,aber Cornelius widersprach heftig, weil ihm die geschmückte Golem bessergefiel als Bella in den alten Lumpen der Dorfsängerin. Bella bat nur umein Nachtlager und Nahrung, weil sie erschöpft sei von Müdigkeit; wenn sieam Morgen nicht mehr geduldet werden sollte, könnte sie leichtweiterziehen. Aber auch dies wollte Golem nicht leiden, die, wie wirwissen, außer den wenigen Gedanken, welche der Spiegel von Bella zu ihrübergetragen und die ihr eine auswendig gelernte Form waren, ein echtesJudenherz in ihrem Körper bewahrte und jetzt in der Furcht, die Fremdekönnte sie verdrängen oder Geld kosten, schrie: daß, wenn sie nichtfreiwillig gleich das Haus verließe, wenn sie ihre trügliche Ähnlichkeitmißbrauchen wollte, ihres Mannes Liebe zu teilen, so würde sie ihr dasfalsche, lügenhafte Antlitz mit den Nägeln zerreißen. “Du, Mann”, riefsie und wendete sich drohend gegen ihn, “daß du noch so dastehst und ihrnicht schon längst das Genick gebrochen, das beweist mir deineSchlechtigkeit, du hast dich auch mit ihr abgegeben, und ich will euchdafür die Köpfe zusammenstoßen, daß euch das Küssen auf ewig vergehen soll,ihr Ehebrecher!” Cornelius fürchtete sich gewaltig vor ihrer Stärke; er stellte sich darumgrimmiger, als er es eigentlich meinte, erhob sein Stöckchen und rief:“Erbärmliches Fräulein, ich will dich strafen.” Braka mußte über sein närrisches Hahnreigesicht fast lachen, wie er sichso grimmig anstellte; aber Bella schlich einsam hinunter, Cornelius hiebauf das Geländer, trat zurück und sagte: “Der habe ich ein paar aufgezogen,daran soll sie ihr Lebtag gedenken.” Golem küßte ihn dafür und nannteihn ihren lieben Mann, und er ahndete nicht, daß er die herrliche Bellafür eine Lehmpuppe verworfen, denn leider hatte ihm Golem Bella in derNacht der Hochzeit die beiden ahndenden Augen, die er noch immer im Nackenbewahrt hatte, unwissend, weil sie da keine Augen vermutete, eingedrückt.Solch Unglück ist leicht bei außerordentlichen Eigenschaften; icherinnere mich eines außerordentlich begeisterten Redners, der dieseEigenschaft ganz verloren, seit die Zuhörer, um einen Versuch mit ihm zumachen, ihn einmal während dieser Begeisterung mit kaltem Wasserübergossen. Bella war jetzt entschlossen, beim Erzherzoge eine Zufluchtzu suchen; sie kannte sein Schloß, das über die andern Häuser hervorragte,aus der Ferne, und so heftig ihr das Herz klopfte, ihre Knien zittertenund ihre Sprache fast versagte, sie brachte es endlich doch beim Türsteheran, daß sie den Erzherzog notwendig sprechen müsse. Der Türsteher, einalter Mann, war ganz in dem Interesse des alten Adrian, der ängstlich dieUnschuld seines Prinzen bewachen ließ, um seine Lebensdauer zu verlängern.Der alte Türsteher ließ Bella in ein Zimmer treten, ging heimlich zuAdrian und hinterbrachte ihm, daß ein verdächtiges Mädchen nach demErzherzoge gefragt habe. Adrian saß eben bei seinem Nachtessen, einemfeisten Hahnenbraten, auf seinem Studierzimmer, wie er da abends allein zuessen gewohnt war; er befahl mit zornigen Augenbraunen, das Mädchenhereinzuführen. Bella wurde eingeführt, aber nach dem Erschrecken überdie Abwesenheit des Prinzen machte ihr der Anblick des kräftigen, würdigenAdrian einen sehr beruhigenden Eindruck. Er sah sie an und sprach nichtsals: “Kurios, kurios!” Sie sah den Braten, und vom langen Hunger getrieben, rückte sie einenStuhl ihm gegenüber zum Tisch, schnitt sich ein Stück ab und aß mit demHeißhunger eines armen Leibes, der seit zwei Tagen nichts genossen.Adrian schüttelte mit dem Kopfe, sagte wieder: “Kurios, kurios”, legte ihrdann gekochte Früchte vor, die dem Braten zugesellt waren, und schenkteihr ein Glas Wein ein. “Du bist ein wunderliches Mädchen”, sagte Adrian,“sprich, wann bist du geboren? ich möchte deine Zeichen erforschen.” “Ach, würdiger Herr”, sagte Bella, “ich weiß es mir nicht mehr recht zuerinnern, ich muß zu der Zeit noch sehr dumm gewesen sein.” “Kurios, kurios”, sagte Adrian, “wie hieß aber dein Vater?” “Ach, mein armer Vater”, sagte Bella, “wenn der das gewußt hätte!” “Kurios, kurios”, sagte Adrian; “nun, ich will deine Geheimnisse nichtwissen.” “Aber kommt denn der Erzherzog nicht bald?” fragte Bella. “Kurios, kurios”, sagte Adrian, “du meinst wohl gar, ich soll dich zu ihmführen, das geht nicht.” “Ei, Väterchen”, schmeichelte Bella, “tu’s doch, ich muß ihn sprechen,führ mich zu ihm, es macht ihm sicher Freude, ich hab ihn so lieb.” “Ein wunderliches Mädchen”, flüsterte Adrian vor sich, “macht mich zuihrem Liebesboten; wer weiß, ob ich mit dieser Liebschaft nicht desPrinzen leichten Sinn an einen Menschen binden könnte; es wird nicht langemehr gelingen, ihn von dem Umgang mit den Frauen abzuhalten, gar vielemühen sich um ihn, die ihn auf eitle Wege führen könnten, und diesescheint noch schuldlos jung.” Die Religion war in ihm beim Lesen deralten römischen Dichter zu einer Art klugen Naturkunde geworden. “Was sprichst du vor dir, lieber Vater?” fragte Bella. “ich will dich bald zum Erzherzog führen”, sagte Adrian, “wart nur etwas,und bist du müde, ruhe aus auf meinem Bette und sprich recht zutraulich,woher du bist, ich will es treu behalten.” Bella fand ihre ganze Seele gegen ihn erschlossen; sie erzählte ihmaufrichtig ihr ganzes Schicksal, nur eins konnte sie ihm nicht sagen, wiesie mit dem Prinzen in Buik zusammengetroffen, sie sagte, daß sie sich imGedränge von der alten Braka verloren hätte. Nach dieser Erzählungversank Adrian in ein tiefes Nachdenken und in mancherlei Rechnerei,worüber Bella einschlief. Sowie er wieder etwas Merkwürdiges über sieherausgerechnet zu haben meinte, trat er an ihr Bette, lehnte sich sachteüber und sah sie verwundert an; überhaupt war es ihm merkwürdig, wie einMädchen auf seinem harten, geistlichen Lager schlafe. Endlich hörte er den Erzherzog, der bei dem Grafen Egmont zu Nachtgegessen hatte, im Schlosse einreiten; er wartete noch einige Zeit undging dann fort, ohne daß es Bella bemerkte, ihn in seinem Schlafzimmeraufzusuchen. Cenrio, von seiner Ankunft sehr überrascht, winkte ihm,leise aufzutreten, weil der Prinz sehr müde gewesen und gleich in einentiefen Schlaf gesunken sei. Adrian ging an das Bette, sah das hellblondeHaar des Prinzen, wie er es gewöhnlich mit einem goldenen Netze umspannte,und zog sich auf den Zehen, mit der Hand Ruhe winkend, zurück. Cenrio bißsich lachend auf einen Finger und krümmte vor Lustigkeit den Leib und hobein Bein auf; der gefährliche Betrug war gelungen, und Adrian hatte dieausgestopfte Puppe für den wahren Erzherzog gehalten, der inzwischen seinelebendige Bella versäumte, um bei der leblosen Puppe Golem Bella an demNachgenusse der Liebe, die ihn das erstemal so reich entzückt hatte, zuverzweifeln. Er hatte nämlich schon am Morgen jene Golem Bella, die außerden Liebesgedanken der wirklichen Bella noch ein gemeines jüdisches Gemüthatte, durch Cenrio bestimmt, seinen Besuch in der Nacht anzunehmen,nachdem das Wurzelmännlein mit einem Schlaftrunke, den er ihr mitgeteilt,zur Ruhe gebracht sei. Auch Braka wußte darum und sollte in ihremBettplatze vikariieren, weil der Kleine so eifersüchtig war, daß er selbstschlafend einen Finger von ihr in Händen hielt; dies war seine einzige Art,ihr zu liebkosen, daß er diesen Finger zuweilen küßte. Der Erzherzog warin das Haus geschlichen, als der Kleine, über die zweite Bella noch immersehr verwundert, kaum zur Ruhe gebracht worden; er mußte lange harren, eheGolem Bella sich losmachen und zu ihm kommen konnte, und jetzt war seineNeugierde aufs höchste gespannt, wie es ihr ergangen und wie sie dem Herrnvon Cornelius vermählt worden, was aus der Golem geworden sei, die er vomJuden habe nachbilden lassen, um ihren Mann zu täuschen. Golem Bellaantwortete auf das alles so natürlich, daß er keinen Argwohn schöpfte, sieselbst möchte diese Puppe sein: insbesondre, da er die täuschende Kunstder Sinne für unfähig achtete, sein scharfes Auge zu täuschen. Sie sagteihm, daß Cornelius aus Argwohn gegen sie, als ob sie mit dem Erzherzogeein Verständnis habe, erst sehr böse gewesen und sie dann gezwungen hätte,sich ihm im nächsten Dorfe zu vermählen, wofür sie in der Liebe desErzherzogs eine Entschädigung zu finden hoffe. Die geheimnisvolle Stundewar nicht zu langen Erörterungen geschaffen; der Erzherzog hatte dieZauberei spielend herausgefordert, seine Lüste zu begünstigen, diesmaltäuschte sie ihn um seine Lust; in der Liebe ist alles so ehrlich, daßjeder Betrug, wie ein falscher Stein in dem prachtvollsten Ringe, dasfreie Zutrauen stören kann, und betrog nicht der Erzherzog Bella, als ersie durch sein Kunststück in seine Gewalt brachte? es war nicht Liebeallein, es war der Wunsch in ihm, sich zu rächen, weil er sich betrogenglaubte, daß er sie so wild und rasch seiner Lust opferte. Als der Morgen dämmerte und die Krähen, die einzigen Singvögel großerStädte, schrien, als ihn Cenrio erweckte, da konnte er nicht begreifen,was ihm mitten im Genusse gefehlt hatte; sein ganzes Herz war traurig undschwer, weil es nicht jubeln konnte, wie damals, als er sich von Bella inBuik trennte; ja es war ihm, als sei es ein anderes Wesen gewesen, die beiihm geschlummert, und wäre sie nicht früher fortgeschlichen gewesen, erhätte sicher die dunkeln Locken von der Stirn erhoben, um das Wort desTodes zu entdecken. Er verfluchte die Nacht und schwor sich, nie wiederdiesen Weg zu gehen, auf welchem er sich verkleidet in sein Schloß schlich,wo ihm Cenrio erst erzählte, welche Gefahr er gelaufen, von dem altenAdrian entdeckt zu werden. Der alte Adrian war unterdessen in einer viel ärgern Verlegenheit gewesen;gleich nachdem er den ausgestopften Erzherzog verlassen, hatte er sichernste Vorwürfe gemacht, daß er auf den Gedanken gekommen, die Liebschaftdes Erzherzoges zu begünstigen. Er hätte Bella ohne Barmherzigkeitverstoßen, wenn er nicht vorher schon dem Türsteher hätte sagen lassen,das Schloß zu verschließen, er habe das verdächtige Mädchen schon zurHinterpforte hinausgelassen. Die Nachtposten waren jetzt auf den Gängenverteilt, und es hätte ohne ein böses Gerede nicht endigen können, wenn erso spät noch ein Mädchen aus seinem Zimmer entlassen hätte; er mußte sichalso in zagender Geduld fügen und der armen, müden Bella sein eignes Bettezum Nachtlager anweisen, während er sich selbst vornahm, sich durch einhartes Bußlager von jeder Versuchung frei zu halten. Seine Verlegenheitging aber bald an, als ihm unwiderstehlich nach dem Wasserglase verlangte,das sich Bella an ihr Bett gesetzt: es war das einzige, und es drängte ihnder Durst, daß er aufstehen mußte und Bella, vom festen Schlafe rötlichangewärmt, schnell atmend in schöner Lage erblickte. Ihm war nie solchein Anblick vorgekommen, und er konnte es selbst nicht recht begreifen,warum er so langsam trinken mußte und gar nicht fertig werden konnte, dieeinzelne Fliege abzuwehren, die immer zu dem schlafenden Engelzurückkehrte; endlich stach ihn selbst eine Art Götterverehrung, die bisdahin nur ganz äußerlich aus den römischen Dichtern in seine Rhetorikübergegangen war. Venus war jetzt Fleisch geworden, er rief sie inHorazens Versen leise an, und wer weiß, wozu ihn diese läppischeSchulweisheit verführt haben möchte, wenn er nicht mitten in seinerAdonisrolle seine Tonsur und sein graues Haar im Spiegel gesehen hätte.ihm schauderte, es war ihm, als habe er einen Heiligen gesehen, der sichim Nachtmahlwein vor seinem Tode betrunken. Er legte sich seufzend aufdie harten Dielen, konnte aber nicht schlafen, denn seine Gedanken warenimmer beschäftigt, bald reuig, bald sündig, bald wie er sich aus derVerlegenheit ziehen sollte, wie er Bella fortschaffen und doch für siesorgen könnte; auch war es ihm zumute, als könnte er sie nicht von sichlassen. Allmählich verweilte sein Auge bei den Kleidern eines Knaben, derihm lange aufgewartet hatte, und den er wegen seiner Tücken endlichfortgejagt hatte; diese schienen ihm geschickt, das Mädchen unbemerkt ausdem Hause zu führen. Als Bella aufwachte, sich die großen Augen rieb underschreckend fragte, wo sie sei, und fast weinte, hatte der gute Alte erstgenug zu trösten. Er betete ihr ein Ave Maria, das sie ihm frommnachsagte, dann erst erzählte er ihr, daß sie sich in Geduld fügen müsse,er könne sie nicht zum Erzherzoge führen, das sei gegen sein Gewissen;aber er wolle für sie sorgen, ob sie ihm nicht einen Rat geben könne, wosie unterzubringen, da er niemand kenne. Sein voriger Knabe, der habe beiarmen Verwandten gewohnt und sei morgens und abends gekommen, um sich zuerkundigen, ob er für ihn etwas zu laufen oder sonst zu verrichten habe;wenn sie dessen Kleider anlegen wolle, könne sie ihm dieselben Dienste,welche ihm die vornehmen Hoflakaien immer unordentlich versorgten, in denKleidern des Knaben verrichten. Bella nahm alles an, was ihr der Alteriet, denn sie sah die Möglichkeit, den Erzherzog in dieser Verkleidung zusehen, und das war jetzt ihr einziges Verlangen; sie eilte zum Ankleidendes neuen Staates, aber ihr fehlte alle Kenntnis, wie sie dieseverschlitzten und vielfach mit Haken und Ösen verbundenen Beinkleider undden Wams anlegen sollte, so daß ihr der alte geistliche Herr nicht ohneLachen dabei helfen mußte. Sie erzählte ihm, daß sie wieder nach demLandhause zurückkehren und sich dort verstecken wolle; ihre Haut wisse siedurch Pflanzensäfte so zu bräunen, daß niemand sie für ein Mädchen haltensollte. Adrian sah wohl die Klugheit ihres Volks bei allen ihrenÄußerungen, aber er fürchtete sich doch vor Verrat und war gar sehrerleichtert, als er sie aus dem Schloß entlassen über den Platzhinschreiten sah, wo die Buben, welche einen Reifen trieben, ihr in derMeinung zuriefen, es sei ihr alter Kamerad, der vorige Knabe Adrians. Das war seine letzte Angst für diesen Tag; nachher eilte er zum Erzherzoge,und als er ihn noch schlafend fand, der die Nacht versäumt hatte,schüttelte er ihn auf und hielt ihm eine lange Strafrede über die Trägheit,daß in ihr, wie in einem bodenlosen Meere, kein Anker der Tugend fassenkönne, sondern verloren gehe. Den Abend habe er ihn nicht stören wollen,denn die Stunden vor Mitternacht seien der edelste Schlaf, wo eine einzigefür Körper und Seele mehr wert als zwei nachher; jetzt aber, wo ihm dieSonne in die Naselöcher scheine, sei das Schnarchen etwas ganzUngeziemendes. Er konnte stundenlang so fortreden und brachte diesmal den Erzherzog auseinem Schlaf in den andern, so daß der alte Herr endlich unmutig aufstandund Cenrio die Beweise vortrug, daß jenes vermeinte Werk des PetrusLombardus, was er in Buik aufgefunden, entweder erdichtet oder aus einerZeit des Verfassers sei, wo er seinen Geist und seine Grundsätze schonaufgegeben hätte. Cenrio tat verwundert; heimlich lachte aber der Schelm,daß die alte Scharteke dem gelehrten Manne so viel Studium gekostet; erfragte ihn dann nach der merkwürdigen Sternenjunktur, die er in Buikbeobachtet, worauf ihm Adrian deutlich machte, daß in der Nacht einmächtiger Herrscher im Morgenlande gezeugt sei, wo aber, das könne ernicht herausbringen. Auch hierin fand sich Cenrio heimlich wieder vielbesser unterrichtet, ungeachtet ihm einige Dinge im Kopfe herumgingen, dieer nicht bequem reimen konnte, vielleicht weil die Natur bloß Assonanzenmachen wollte, er hatte nicht herausbringen können, wo die Golem Bellageblieben; auch wußte er nicht, wie Bella wieder zur alten Frau von Brakazurückgekommen, nachdem sie von dieser in den Armen des Erzherzogszurückgelassen, Dinge, die er aus Zeitmangel und aus Überfluß an Zeugenmit dem Erzherzoge noch nicht überlegen konnte. Nachdem der Alte dasZimmer verlassen mit den Worten: “Kurios, kurios, ich gäbe was darum, diesWunderkind zu entdecken!” so wendete Cenrio seine Fragen an den Erzherzog, der nicht wenig erstauntwar, da er selbst in seiner Lust nach einer verlornen Bella geschmachtethatte. “Gewiß ist jene verloren, die ich liebte, die im Tor meines Lebens wie diezarte Morgenröte vor der hellen Sonne verschwunden ist, statt desGötterbilds habe ich eine irdische Gestalt umarmt, die mich in niedererGlut an sich zieht, und vor der mein Herz zurückweicht. Ach, daßMillionen auf mich blicken! Dürft’ ich ein armer Pilger werden, wiewollte ich die Welt durchirren, meine Klagen allen Winden singen und sieaufsuchen, der ich ewig gehöre, und wenn ich sie nicht fände, alsEinsiedler in den stillen Kapellen des Monserate vertrauern: Cenrio, daswäre, was ich mir wünschte, und da ich es nicht erreichen kann, da werdeich auch vieles nicht erfüllen, was die Welt von mir will.” Cenrio gehörte zu den verkehrten Fürstenhofmeistern, die jeden ernstenGedanken wie eine Zugluft von dem verehrten jungen Leben abhalten möchten.Sie wollen sie im Genusse bilden, und der Genuß eines Fürsten ist sobeschränkt und die Entsagung so überschwenglich; der Scherz bleibt vorihrer Tür stehen, und der Ernst herrscht wie ein alter Geist im Schlosse.Cenrio versprach dem Erzherzoge, in Buik alle Erkundigungen einzuziehen,um das Rätsel zu erklären, und eilte dahin. Unterdessen wurde der Herr von Cornelius bei dem Erzherzoge angemeldet,und dieser nahm ihn an, weil er der Golem zur Sicherheit ihresVerhältnisses versprochen hatte, ihm eine Anstellung zu schaffen, insoferner von vielen Herren seines Standes ein Zeugnis brächte, daß er ein Menschsei. Der kleine Kerl war schon den ganzen Morgen herumgelaufen und hatte sichdie Meinungen der Herren, ob er ein Mensch wirklich sei, aufschreibenlassen, sah aber zu seinem Erstaunen, daß bei allen mehr oder wenigerZweifel darüber obwalteten. Die Zeugnisse waren immer nur bedingungsweiseausgestellt, so sagte von ihm der Baron Vanderloo: Wenn er hinter einemTische säße, würde man ihn schon für einen ordentlichen Menschen passierenlassen, er dürfe aber niemals aufstehen wegen unverhältnismäßiger Kürzeseiner Beine, welche ihm Ähnlichkeit mit einem verkleideten Dachshundegebe. Herr von Meulen erklärte, er würde durchaus untadelhaft sein, aber seineMutter müsse einen zu heißen Leib gehabt haben, darüber sei er, wie einallzu scharf gebackenes verbranntes Brot, aufgerissen undzusammengekrochen. Graf Egmont schrieb auf den Umlaufzettel: Da es eine Hauptkunst sei, demFeinde in gewissen Kriegsfällen seine Stärke zu verbergen, so könnte ersehr nützlich in einer Hosentasche jedes tüchtigen Soldaten angestelltwerden, die Muskete auf dessen Hosenknopf anlegen und den Feind durcheinen ganz unerwarteten Schuß aus den Hosen des Soldaten erschrecken. Diese und ähnliche Meinungen, die jeder ihm, als sehr günstig für seineAnstellung, eingeredet hatte, brachte der Kleine jetzt dem Erzherzoge, dersie mit verbissenem Lachen durchlas und ihm dann eine ihm angemesseneAnstellung in einem Regimente versprach, das er bald errichten wolle, undwozu er neue Art von Helmen erfunden, die durch eine Schelle sich hörbarund durch zwei lange Ohren sichtbar machten. Der Kleine war über die naheErfüllung seiner Wünsche entzückt; er hatte noch nie einen Schalksnarrengesehen als in Buik, und da hatte er ihn für eine militärische Persongehalten und die Gewalt seiner Waffen gegen ihn versucht. Er war deswegenauch sehr bereitwillig, den Erzherzog bei sich zu empfangen, der sich nachseiner jungen Frau erkundigte und sie kennen zu lernen wünschte. DerselbeTag noch wurde zu einem Feste bestimmt, das Herr von Cornelius in seinemHause geben sollte. Der Erzherzog fühlte, trotz der unbefriedigten Nacht,trotz der Vermutung, eine Zaubergestalt treibe ihren Spott mit seinerLiebe, eine unwiderstehliche Begierde zu diesem Golem. Es war ein Drangandrer Art, als er geahndet, aber er konnte ihn doch nicht abstreiten,nicht zurückweisen; auch konnte er nicht leugnen, daß diese Empfindungetwas Bestimmtes, etwas Mögliches forderte, während jene sich vielleichtins Unendliche traumartig ausblühte; ja in diesem Zwiespalte seinesGemütes schien ihm das Wesenlose, das Ungewisse in jenen hohen Freudenleer und verächtlich gegen diesen erkannten Sieg seiner Sinne. Bella war am Morgen traurig den Weg nach dem Landhause gewandelt, wo siedurch einige bekannte Löcher in der Gartenmauer unbemerkt einzuschlüpfenhoffte. Es begegnete ihr aber in der Nähe des Kirchhofes der armeBärnhäuter, der sich beim Überzählen seines verdienten Schatzes im Sargeetwas zu lange verweilt hatte; als er Bella erblickte, konnte er sich derTränen nicht enthalten, sondern faßte ihre Hand und fragte, was die liebe,junge Herrschaft mache, er habe es gleich bemerkt, daß sie von einerfalschen, nachgebildeten Figur verdrängt sei, aber aus Furcht, seinenDienst zu verlieren, habe er nichts zu sagen gewagt. Bella bat ihn zuschweigen: seit dem Empfange in dem Hause habe sie einen unwiderstehlichenWiderwillen gegen Braka, Cornelius und alle bekommen, daß sie sich nieentschließen könnte, ihre fürstliche Freiheit dem Zwange der Stadt zuunterwerfen; sie wolle wieder in ihrem alten Hause leben, bis sie freieLeute ihres Volkes antreffe. Dann fragte sie ihn aus, wie sich allesbegeben, und warum er an dem Abende nicht erschienen. Da erzählte er ihr,daß er von der falschen Bella ausgestellt worden sei, um den Erzherzogdurch die Hintertüre einzuführen, der erst spät anlangen konnte. Beidiesen Worten verschloß Bella den Mund des Bärnhäuters; sie wollte nichtsmehr hören, nachdem diese unselige Betrügerin ihr auch das letzte, was sieauf Erden reichlich tröstete, die Liebe des Erzherzogs, entwendet hatte.Der Jammer füllte ihre Seele, und es fiel ihr wie ein Stein vom Herzen,als sie weinen konnte; sie hing sich an den Bärnhäuter und ließ ihn wohleine Stunde nicht los; ein Glück, daß den Weg wenig Leute gingen, es hättesonst Aufsehen gemacht. Der Bärnhäuter war bald in ein neues Rechnen inGedanken gekommen, wie lange er noch dienen müsse, und so ließ er dieTränen an sich vorübergehen, wie eine Mühle den schönsten Wasserfall, sieist zufrieden, daß nur ihr Rad dabei gehen kann. Zuletzt, als erfürchtete, zu spät zu kommen, wußte er sich nicht anders loszumachen, alsdaß er eine Pflaume, die wurmstichig vom nahen Baume gefallen war,aufdrückte und sprach: “Wieviel glücklicher ist doch solch eine Made alswir Menschen, je länger sie lebt, je süßer wird die Frucht am Baume; wasich aber als eine Undankbarkeit an dem Tiere betrachte, ist wohl, daß siealles in ihr Zimmer macht und sich dadurch ihren eignen Lebensgenußverdirbt.” Der einfältige Kerl dachte nicht, daß sein eignes Sammeln ins Leben nichtsanders gewesen war, als was die Maden in der edlen Frucht anhäufen. Bellawar zu traurig, um ihn darauf aufmerksam zu machen, sie ließ ihn aber los,und er verließ sie eilig mit den heiligsten Versicherungen, er wolle füreine Kleinigkeit jede Nacht zu ihr kommen und einholen, was sie brauche. Sie dachte nicht, was sie noch brauchen könne; ihr fehlte alles.Gleichgültig gegen alle Welt ging sie, ohne eine Vorsicht zu brauchen,nach dem Gespensterhause und öffnete die Türe in der ihr bekannten Art.Keine Betrachtung über die Veränderlichkeit ihres Schicksals störte sie;ganz entehrt fühlte sie sich, seit der Erzherzog sie nicht mehr liebte,ohne Sicherheit und Würde; sie wollte ihn vergessen, und doch war es ihreAngst, wo er eben sein möchte. Auch war es dieser Gedanke mehr als derHunger, der sie abends nach dem Schlosse zurückführte, wo sie aber diesmalAdrians Zimmer verschlossen fand, weil er mit einigen Geistlichen darindisputierte. Als sie unbestimmt auf dem dunklen Gange des Schlosses stand,kam der Erzherzog und hielt sie in der schwachen Beleuchtung für denehemaligen Knaben Adrians, den er sich durch kleine Geschenke lange zueigen gemacht hatte; er rief ihm zu, eine Fackel zu nehmen und ihm nachdem Hause des Herrn von Cornelius vorzuleuchten. Bella erfüllte eiligseinen Befehl, zündete eine Fackel und ging voran. Der Erzherzog war inheftiger Bewegung: ein geheimer Freund war aus Spanien mit der sichernNachricht angekommen, sein Großvater könne nur wenige Tage noch mit demihn lange bedrohenden Tode kämpfen; umsonst suche er dem Tode zuentfliehen und ziehe aus einer Stadt in die andre, wie andre Kranke auseinem Bett in das andre. Carvajal, Zapara und Vargas hätten ihm endlichdie Nähe seines Todes vorgestellt, und er hätte, sein Unrecht gegen Karlzu verbessern, statt Ferdinands den Kardinal Ximenez zum Reichsverweserernannt und die rechtmäßige Erbfolge Karls unangefochten gelassen. Dermagnetische Kreis der nahen Herrschaft bewegte Karls herrschendes Gemüt sounruhig wie ein Nordlicht die Magnetnadel; dabei war er so in sichversunken, daß er keinen Blick auf Bella warf, sondern, ohne darauf weiterzu achten, dem Schein der Fackel nachlief und Bella befahl, vor dem Hausebis zu seiner Heimkehr zu warten. Die arme Bella! sie löschte ihre Fackel wie ein guter Genius, der nichtmehr helfen kann. Der ernste Blick und Ton des Erzherzogs hatte allenihren Mut, ihn anzureden, niedergeschlagen; sie gab ihn ihrer Liebeverloren und war in sich still versunken, als sie das Geschrei einerMusikantenbande aus ihrer Schmerzenstiefe erweckte. Sie hörte nichts vondem Liede, womit sie sich eine Gabe aus dem erleuchteten Hause zu erflehensuchten; die Erinnerung ihrer Retter aus den Händen der Alten stieg inihrem Herzen auf, zugleich die Erinnerung jener überstandnen Angst; siezagte für ihre Zukunft und wußte doch nicht, was sie noch verlieren könnte.Es wohnt aber in den Menschen, die zu einer großen, allgemein wirkendenÄußerung, von hoher Hand vorbereitet, sie noch nicht erkennen, eineerhaltende Kraft, die ihnen im gewöhnlichen Kreise das Ansehen derZaghaftigkeit geben kann; ihren großen Lauf ahndend, scheuen sie diehemmende Kraft des schlechten, und nur ein ganz erfassender Glaube kannihnen in den Unbedeutendheiten des Lebens die Zuversicht und Dreistigkeitgeben, die ihnen im großen nie fehlt. Bella fühlte ungeachtet ihrerVernichtung einen erhaltenden Wunsch in sich. Ihre Hilflosigkeit, und wasihr im Gedränge der Menschen; die nachts in der Hauptstadt umherschwärmten,geschehen könnte, erschreckte sie; sie verkroch sich zwischen den Säuleneiner kleinen Kapelle der heiligen Mutter, die neben ihrem ehemaligenHause ganz verlassen unerleuchtet stand. Diese Bande von Musikern, welchesich vor dem Hause hören ließ, unterschied sich aber gar herrlich vonjenen rohen Sängern auf der Kirmes. Es waren weder Bettler noch Diebe,sondern junge Leute aus allen Ständen, die sich abends zusammenfanden mitihren Lauten und allerlei Lieder, so gut ein jeder sie wußte, absangen.Was sie einnahmen, verjubelten sie entweder zusammen gegen Morgen, ehe sievoneinander schieden, oder sie schenkten es den Mädchen, die siemitzugehen beredet hatten. Diese Sänger waren in den Städten so beliebt,daß die Eltern ihre Kinder abends nicht eher zu Bette bringen konnten, bisder Zug vorübergegangen, und wenn auch die Knaben den Trommelschlagvorzogen und ihm nachliefen, der abends den Torschluß verkündigte, diekleinen Mädchen hörten lieber die Sänger und folgten ihnen bis an dieStraßenecke. Mancherlei freche und traurige Lieder waren unbemerkt vorBellas Ohren vorübergegangen, als ein junger fahrender Schüler sich vorder heiligen Mutter hinstellte, daß die hellerleuchteten Fenster desHauses sein trauriges Gesicht erleuchteten; dann sang er ein Lied, dasdamals allgemein gesungen wurde und in seinen Schicksalen vielleicht einebesondre Rührung vorfand: Die freie Nacht ist aufgegangen,Unsichtbar wird ein Mensch dem andern,So kann ich mit den Tränen prangenUnd hin zu Liebchens Fenster wandern.Der Wächter rufet seine Stunden,Der Kranke jammert seine Schmerzen,Die Liebe klaget ihre Wunden,Und bei der Leiche schimmern Kerzen. Die Liebste ist mir heut gestorben,Wo sie dem Feinde sich vermählet,Ich habe Lieb’ in Leid geborgen,Ihr Tränen mir die Sterne zählet.Wie herzhaft ist das Licht der Sterne,Wie schmerzhaft ist das Licht der Fenster,Ein dichter Nebel deckt die Ferne,Und ich umspinnen die Gespenster. Im Hause ist ein wildes Klingen,Die Menschen mir so still ausweichen,In Mitleid mich dann fern umringen:So bin ich auch von euresgleichen?Mich hielt der Wald bei Tag verborgen,Die schwarze Nacht hat mich befreiet.Mein Liebchen weckt ein schöner Morgen,Der mich dein ew’gen Jammer weihet. Wie oft hab ich hier froh gesessen,Wenn alle Sterne im Erblassen,Ach, alle Welt hat mich vergessen,Seit mich die Liebste hat verlassen:Nichts weiß von mir die grüne Erde,Nichts weiß von mir die lichte Sonne,Der Mondenglanz ist mir Beschwerde,Die Nacht ist meiner Tränen Bronne. Hier hielt er inne, schlug seinen Mantel über die Arme, zog eine kleineLaterne hervor, holte eine brennende Kerze heraus und stellte diese vordas Bild der heiligen Mutter; dann sang er in verändertem Ton: Nichts weiß von mir die liebe Mutter,Nichts weiß von mir der gute Vater,Doch zünd ich ein Licht der heiligen Mutter,Doch glaub ich an einen himmlischen Vater. Als das Licht den jungen Mann erhellte, da erinnerte sie sich, ihnmehrmals vor ihrem Hause erblickt zu haben, wenn sie zufällig nach derStraße gesehen. Nicht ohne Grund glaubte sie sich die Ursache seinerTrauer, weil er sie vermählt glaubte. Welche treue Liebe war ihrunbekannt geblieben, während der Liebling ihres Herzens, dem sie sich soausschließlich hingegeben, sie in leichtsinniger Täuschung verlassen hatte.Sollte sie sich ihm wie ein Almosen hingeben? Sie war sich nichts mehrwert! sie konnte ein frommes Leben mit ihrer Liebe retten. Schon wolltesie zu dem Betenden hinspringen und sich ihm zu erkennen geben und ihremHause und ihrem Volke entsagen, als der Mond an dem hohen, pyramidalenKirchturm, der vor ihr wie ein Schatten stand, wie das Licht einesLeuchtturms emporstieg, und sie dachte der Pyramiden Ägyptens und ihresVolkes, und die Gedanken machten sie ihres Schicksals fast vergessen.Inzwischen trat ein Knabe, der mit einem Teller, worauf ein Licht geklebtwar, im Kreise herumgegangen war, auch zu ihr; sie sah auf dem Telleraußer einigen Birnen und Äpfeln, Gaben der Kinder, kleine Ersparnisse vomAbendbrot, nichts liegen. Sie fühlte einen quälenden Durst und meinte, eswerde ihr geboten, nahm einige Birnen und führte sie zum Munde. Der Knabesah sie verwundert an, dann sagte er ihr, sie möchte bezahlen. Sie griffin Verlegenheit nach den Taschen und meinte darin Geld zu finden; es waraber nur ein abgerissener Knopf, den der vorige Knabe darin vergessen.Als sie ihn auf den Teller legte, lachte der Knabe und rief die lustigeBande herbei. Da hieß es gleich, wenn er kein Geld zum Zahlen habe, müsseer ein Lied zum besten geben. Bella verging fast in Angst; kein Liedwollte ihr einfallen, sie wurde gezogen und bedrängt. Endlich stieß siean einen Stein, und da sang sie im Schmerz. Wer sich an den Stein gestoßen,Springt in die HöhMit Ach und Weh:Wollet ihr das Tanzen nennen?Wen die Liebe hat verstoßen,Singt in die HöhMit Ach und Weh:Wollet ihr das Singen nennen?O Schmerz, wie soll ich dich singen,Du bist mir zu schwer!O Herz, wem soll ich dich bringen,Dich will keiner mehr;Verlorn ist Lieb’ und Ehr’. Bella hatte diese Worte mit solcher Angst ihrer Kehle entpreßt, daß dertraurige Sänger vom Gebete aufgestanden war und, ohne sie anzusehen, denTeller mit Früchten und Geld in ihr Barett schüttete, das sie schüchternhalb vor ihr Gesicht wie ein Becken mit Weihwasser hielt, ihre Tränenwaren hineingeflossen; hätte er sie erkannt, er hätte ihr mehr, er hätteihr alles gegeben, denn er war ihr eigen. Aber so schön ist eine frommeNeigung, daß sie selbst da wohl tut, wo ein höheres Geschick ihr keineErfüllung gestattet. Der arme Schüler fühlte sich durch die kleineWohltat, er wußte nicht wie, erleichtert. Seine Bescheidenheit erlaubteihm nicht, dem er wohl getan, ins Auge zu sehn, darum zog er die Bande mitseinem schönen Gesange weiter, daß sie den armen Burschen, dafür hielt erBella, nicht weiter mit Anforderungen zum Singen ängstigten. Als Bella allein war, warf sie sich an die Stelle nieder, wo der armeSchüler im Staube gekniet hatte, wo er sein Licht und einen Blumenstraußzurückgelassen. Die Blumen dufteten so angenehm zu ihr, und die heiligeMutter sah so liebreich zu ihr herab, daß sie fühlte, die Sünde ihresVolkes sei vergeben: “Heilige Mutter”, seufzte sie, “hast du verziehenunsre Missetat, nimmst du uns auf, nachdem wir dich verstoßen?” Da glaubte sie, die heilige Mutter nicke ihr freundlich zu, und ihr Herzschwamm in Andacht so selbstvergessen, daß sie den Schwarm der Gäste kaumwahrnahm, die um Mitternacht das Haus verließen. Ein paar trunkene Edelknaben des Erzherzogs erzählten, daß sie den kleinenCornelius, als er vom Mohnsafte eingeschlafen, unter den Ofen gesteckt undihn an den vier Ofenfüßen mit Armen und Beinen schwebend angebunden; essei schade, daß man noch nicht einheize, er würde sonst den Gesang derMänner im feurigen Ofen sehr natürlich anstimmen können. So gingen sievorüber, ohne Bella zu bemerken, die sie ebenfalls nicht beobachtete undendlich, als das kleine Licht des Schülers erloschen war, gleichsam mitoffenen, sehenden Augen in eine andre Welt getragen wurde. Sie sah einKind in ihrem Schoße, das dem Erzherzoge gleich, vor dem sich zahlreicheVölker beugten; sie war ganz verloren in dem Anblick. Aber mitten aus diesem Entzücken weckte sie die geliebte Stimme desErzherzogs mit den Worten: “Wach auf, Knabe, zünde deine Fackel undleuchte mir vor!” Sie taumelte auf und sah Golem Bella, die mit einem Lichte ihn bis vor dieTüre begleitet hatte. Sie war in einen schwarzen Mantel gehüllt. DerErzherzog, den die sinnliche Gewohnheit mehr ergriffen, den die höherenForderungen der Liebe in der Unruhe weniger gestört hatten, näherte sichihr und sprach: “Also morgen abend bin ich wieder bei dir und übermorgenwieder, und so alle Nächte, ja auch die Tage, wenn ich erst ganz frei derHerrscher eines mächtigen Volkes bin, das wie wir die Torheiten des Lebensin freudigem Genusse vergessen soll!” “Vergiß nicht die Perlen, die du mir versprochen”, sagte Golem. Bellahatte jetzt an ihrem Lichte ihre Fackel entzündet. Ihr Barett lag nochmit den Früchten in der Kapelle, und da ihre Knabenkleidung vom Mantelbedeckt war, so erschrak der Erzherzog, der sie ganz wie am Frühlichte inBuik wiedererkannte, fuhr mit seiner Hand gegen seine Stirne und rief:“Heiliger Gott, es sind ihrer zwei!” “Muß ich dich wiedersehen, du Vorgeschaffene Gottes, muß ich an dirschaudern, daß ich nicht lebe?” schrie Golem und stach mit einerpfeilförmigen, goldnen Haarnadel nach ihr. Der Erzherzog aber, dem allesim Augenblicke schrecklich klar wurde, was er sich bisher abgestrittenhatte, hielt Golem Bella bei den Haaren zurück, deren Flechtenniederfielen; er sah die Schrift auf der Höhe der Stirn, das Aemaeth,löschte die erste Silbe rasch aus, und im Augenblicke stürzte sie in Erdezusammen. Der Mantel lag über der formlosen Masse, als ob eine Magd, diein der Stadtsandgrube sich Sand ausgegraben hat, weggerufen wird und ihrenMantel darüberlegt, damit kein andrer ihr den Haufen wegnimmt. Aber weder der Erzherzog noch Bella hatten ein Verlangen nach diesemirdischen Schatze. Der Erzherzog hob Bella rasch auf, daß ihr die Fackelaus der Hand fiel, und trug sie in seinem Mantel nach dem nahen Brunnen,wo er des klaren Wassers reinigende Kraft über sein Antlitz und seineHände hingehen ließ, gleichsam um jede Spur dieser falschen Berührung mitder Erde zu tilgen. Und als er sich in Unschuld gewaschen, küßte er diegeliebten Lippen der echten Bella, bekannte ihr, wie diese Irrungenveranlaßt worden wären, und bat sie, ihm ihr Geschick, und was sie indiese Kleider gebracht, zu bekennen. Bella sah sich wieder in dem Besitzedes verlornen Schatzes, und doch atmete sie noch schwer und hätte dochgern ganz froh und heiter sich angestellt. Es waren dieselben geliebtenZüge, aber ohne den farbigen Fruchtstaub, den das Anfassen der neugierigenWelt so leicht von dem unschuldigen Leben hinwegwischt, was unsWeintrinkern wie ein edles Faß vorkommt, das mit einer geringeren Mengeunedlen Gewächses aufgefüllt worden: der Wein ist darum doch klar, edel,aber nicht mehr rein. Karl war heiter, aber er wollte es auch sein, umseine Verirrung auszutilgen, der er doch zuweilen nachgähnte, und als ihmBella ihre Geschichte erzählte, da wurde ihm das Ereignis mit dem altenAdrian so hervorstechend in seiner absichtlichen Laune, daß Bella ihm ihreunsägliche Trauer und ihr Entsagen und ihren Wunsch nach Ägypten nichtmitteilen konnte. Karl, den mitten in Liebkosungen die Freuden naherHerrschaft beunruhigten und erkälteten, beschloß, dem Adrian, den er zurBewachung des Ximenez nach Spanien senden wollte, nach dieser feierlichenBestallung einen lustigen Streich zu spielen, damit er das Ende seinerHofmeisterschaft deutlich fühle. Es sollte nämlich in dieser Nacht ein großer Staatsrat gehalten werden,worin Adrian präsidierte; am Schlusse desselben sollte Bella hereintretenund ihn verklagen, daß er sie verlasse, und ein Gericht der Liebe über denKardinal verlangen. Bella, die den Erzherzog so heiter sah, wollte gernan ihres Karls Seite ihre überstandene Trauer vergessen, wenn sie gleichzu diesem Scherz allzu beklommen war; sie glaubte es aber ihreSchuldigkeit, alles Kränkende zu vergessen, insbesondre da der Erzherzogihr versprochen, für sie und für ihr zerstreutes Volk nachher etwasBedeutendes zu tun. Nach dieser Verabredung gingen sie still ins Schloß zur Hintertür ein.Der Erzherzog gönnte Bella auf seinem Bette einige Ruhe, gab ihrErfrischungen und verließ sie endlich recht ungern, um über die Schicksaleder Welt zum erstenmal einen Rat zu hören und eine Tat auszuführen. DieVersammlung bestand aus Adrian, Chievres, Wilhelm von Croy, dessen Neffen,und Sauvage. Als der Erzherzog eintrat, bemerkte er, nicht ohne Regungseiner Eitelkeit, die verschiedne Art, wie sie ihn jetzt begrüßten. Jederspekulierte in seinem Herzen, welche Vorteile ihm aus diesen nahenVeränderungen erwachsen möchten. Für sie war Ferdinand, der Großvater,nicht bloß krank, sondern schon tot, begraben und vergessen; alle bemühtensich, den jungen Erzherzog, der ein blindes Vertrauen in ihren gutenWillen setzte, gegen die Spanier einzunehmen, die nur ihre Rechte undihren Dünkel, nicht den Ruhm und die Macht ihrer Könige zu fördern suchten.Der Erzherzog ließ sich leicht von etwas überreden, was er immergeglaubt hatte; der früher von Chievres ersonnene Rat, den festen undtreuen Adrian dem Ximenez an die Seite zu setzen, wurde angenommen, undAdrian sollte schon am nächsten Morgen sich nach Spanien einschiffen, ohnedie sichre Nachricht von dem wirklich erfolgten Tode des alten Königsabzuwarten. Als dieses abgetan und alle sich entlassen glaubten, sagte Karl ernsthaft,daß er jetzt, wo er sein eigner Herr werde, ein Strafgericht über seinengewesenen Hofmeister Adrian eröffnen müsse, insbesondre, ob derselbe seinegeistlichen Gelübde der Keuschheit gewissenhaft erfüllt habe. Alle sahensich verwundert an, und Adrian, der einen solchen Ton im Erzherzoge nichtgehört hatte und seiner Unschuld sich bewußt glaubte, verlor so gänzlichsein kaltes Blut, daß er zornig ein geistliches Gericht verlangte, um sichder strengsten Prüfung zu unterwerfen. “Wir wollen nicht richten”, sagte Karl, “sondern nur die Zeugen verhören,denn diese könnte uns die geistliche List entziehen!” Bei diesen Worten gab er das verabredete Zeichen, und Bella trat in derLivrei des Kardinals schüchtern in die Versammlung. Der Kardinal wird imAugenblicke sichtbar rot; die übrigen wissen nicht, was der Knabevorzubringen habe, bis der Erzherzog den Kardinal auf sein Gewissen frägt:Ob dieses sein Diener? ob es ein Knabe? ob er es gewußt, daß es einMädchen? ob dieses Mädchen nicht in seinem Bette geschlafen Adrian hatte seine Fassung so ganz verloren, daß er kein Wort vorbringenkonnte; keine von den vielen Spitzfindigkeiten, die er in seinem Lebendurchdisputiert hatte, fiel ihm zu seinem Schutze ein. Er sagte endlich,daß er nichts antworten wolle, es sei eine Verschwörung gegen ihn, seineGutmütigkeit werde hart bestraft. Länger konnten weder der Erzherzog nochBella seine Verlegenheit ansehen. Der Erzherzog nahm Bella lachend inseinen Arm und rechtfertigte ihn vor der Versammlung, indem er sagte, daßer ihn angeführt habe, daß er ihm eine Geliebte zur Aufwartung gegeben, umsie sich selbst näher zu rücken. Adrian atmete wieder nach dieser Rede;die Versammlung rühmte das frühe Liebesgeschick des Erzherzogs. Chievres,der Karl gern zum Liebhaber seiner Frau gemacht hätte, um ihn desto mehrin seine Gewalt zu bekommen, versicherte laut, er würde seine Frau nichtmehr mit ihm allein lassen. Der Erzherzog bat unterdessen Bella, daß siezur Frau von Chievres, die im Schlosse wohnte, gehen und sich rechtkostbar möchte ankleiden lassen, dann sollte sie mit derselben in dieVersammlung zurückkehren, noch habe er einige Akten für Adrians Abreise zuunterzeichnen. Diese Ausfertigungen waren nur ein Vorwand, sich selbst eine Zeit derÜberlegung zu verschaffen; streitige Wünsche teilten seine Seele: was erder Liebe, was er seinem Stande schuldig, ob er eine Herzogin von Ägyptenheiraten dürfe, ob es nicht seinen Thron unsicher mache. Diese Beratungin ihm war noch nicht beendigt, als Bella in einem prachtvollen, silbernenKleide, das mit roten Blumen bestreut zu sein schien, auf ihrem Haupteeine kleine goldne Krone, an der Seite der Frau von Chievres ins Zimmertrat und die Bewunderung aller durch ihren sichern Anstand gewann, so daßSauvage und Croy einander zuflüsterten, es müsse wahrscheinlich eineFürstin sein, die Karl heimlich zu heiraten beschlossen habe. Karl beugtesich vor ihr, führte sie auf seinen hohen Stuhl und versuchte zu sprechen,aber die innere Bewegung machte es ihm unmöglich. Chievres bemerkte dieseUnbestimmtheit und glaubte, ihm einen Gefallen zu tun, wenn er ihm Zeitverschaffte; darum trat er zu ihm und erzählte, daß Adrian fortgegangensei, weil ihm der Schreck über seinen gefährdeten Ruf auf seinen Magengewirkt hätte. Dieser lächerliche Erfolg seines Mutwillens löschte füreinen Augenblick das tiefere Gefühl Karls. Der Streit schien ihmgeschlichtet, er schien ihm unnütz. Vielleicht wirkte auch dieErschöpfung der tätigen Nacht, als er zur Versammlung sagte: “Ich erkenneöffentlich Isabella, die Tochter des Herzogs Michael von Ägypten, alseinzige Erbin dieses Lands, als Fürstin aller Zigeuner in allen Länderndiesseit und jenseit des Meeres und gebe ihr die Freiheit, sie alle nachÄgypten zurückzuschicken, insofern sie selbst nur unsrer Liebe bleibenwill.” Bella, die von der Rede nur wenig vernommen hatte, weil sie seinherrliches Ansehen dabei, seine Würde mit freundlichen Blicken bewachthatte, fiel ihm nach deren Ende um den Hals; das befreite Karl von allerSorge, daß sie eine Heirat mit ihm fordern möchte, und er küßte sie mitdoppelter Zärtlichkeit. Die Versammelten baten um den Handkuß, undChievres, der gern den Neigungen seines Herrn zuvorkommen wollte,erflehete seiner Frau die Gunst, daß die Prinzeß von Ägypten künftig beiihr wohnen sollte, bis ihr ein eigner Palast geschafft worden sei. Karlbewilligte aus Gnade, was er früher für eine Gnade der Frau von Chievressich erbeten hätte. Bella ging mit ihrer neuen Mutter nach der andernSeite des Schlosses, Karl sprach noch einige Worte mit den Versammelten.Es war schon spät am Morgen, als sie auseinandergingen. Die Vögel sangenihr Lied, und die politischen Menschen gingen zu Bette. Karl aberstreckte sich auf eine Rasenbank im Schloßgarten, wo ihn Bella aus ihremZimmer ersah und nicht einschlafen mochte. Schon war in dem Hause desHerrn von Cornelius die größte Verwirrung ausgebrochen; sein Toben unterdem Ofen, nachdem er den ärgsten Rausch ausgeschlafen hatte, rief alleBewohner in den abenteuerlichsten Nachtkleidern zusammen. Alle waren mehroder weniger betrunken gewesen, daß sich niemand um den Herrn bekümmerthatte, sogar der Bärnhäuter, daß er diese Nacht vergessen, nach seinemSchatze im Sarge zu sehen. Der Kleine, der schwebend angebunden hing undunter sich die Fliesen sah, die ein Meer mit Schiffen darstellten, glaubtein seinem Halbrausche, er fliege über dem Meere, und wollte sich damitsehen lassen. Als ihm aber die Bande gelöst wurden und er mit der Naseauf dieses Meer fiel, da glaubte er sich verloren. Diese Ideen verwirrtenihn immerfort, als er schon aufgehoben und gereinigt war. Endlich sah eralles ein und verlangte in sein Schlafzimmer; aber neue Verwirrungentstand, als nichts von seiner Frau zu sehen war als das verwirrte Bette.Das war allen ein Rätsel, selbst der alten Braka und der Magd, die rechtgut wußten, daß nicht alles sei, wie es sein sollte. “Sie ist wegenihrer Tugend gen Himmel gefahren, mein Six, das Fenster ist offen”, riefBraka, und das staunende Wurzelmännlein sah ihr an dem Fenster nach, obnicht ein Paar Beine am Himmel zu sehen. Braka tröstete sich mit demGedanken, daß der Erzherzog für ihr gutes Unterkommen gesorgt haben möchte.Das Wurzelmännchen, dem eine Schwalbe etwas in den Mund fallen lassen,sprang in liebender Verzweifelung vom Fenster zurück, um in tausendlächerlichen Sprüngen wie unsinnig durchs ganze Haus zu laufen. Als erdie Türe noch offen fand, tobte er gegen den Bärnhäuter; als er aber denMantel der Geliebten und darin eine Masse ordinären Leimen fand, da wußteer nicht, warum, aber diese Erde gewann er so lieb, als sei es dieVerlorne; er sammelte sie sorgfältig, trug sie in sein Zimmer, küßte sieunzähligemal und suchte sie wieder in eine Gestalt zu formen, die derVerlornen ähnlich wäre. Die Beschäftigung tröstete ihn, während unzähligeBoten von ihm den Auftrag erhielten, das Land zu durchsuchen, um von ihremAufenthalt, wenigstens von dem Wege, auf dem sie entflohen, Nachricht zubringen. Aber keiner wußte ihm eine Auskunft zu geben, bis endlich Braka,die sich alles Vorteils beraubt glaubte, der ihr aus der Liebe desErzherzogs zur Golem Bella noch zuwachsen sollte, ihm die Nachrichtbrachte, Isabella, die Fürstin von Ägypten, welche auf dem Schlosseangekommen und der zu Ehren alle Zigeuner Freiheit erhalten, sichöffentlich wieder zu zeigen und ihr Brot zu erwerben, sei seine verlorneFrau. Der kleine Mann stand in Verwunderung wie erstarrt, dann gürtete ersich mit seinem Schwerte und eilte nach dem Schlosse, um vom Erzherzoghierüber eine Auskunft zu fordern. Der Erzherzog ließ ihn gern vor sich kommen, hörte ihn an, sprach, daß erdie Fürstin vor seinen Richterstuhl fordern wolle, und versammeltedeswegen mehrere Herren um sich her. Der Kleine war nicht wenig eitel,daß seinetwegen solch ein Aufsehen gemacht würde; er stand so ritterlichin den Schranken, machte so stolze Augen, daß er, wie durch eine doppelteBrille sehend, Isabella kaum erkennen konnte, als sie in einem rotenSamtkleide, mit Hermelin besetzt, Frau von Chievres in einem weißen Damast,auf dessen vorderer Fläche Adam und Eva unter dem Apfelbaume gewebt waren,in das Zimmer traten und die für sie bestimmten Plätze einnahmen. DerErzherzog verlangte jetzt von dem Herren von Cornelius Nepos, daß er seineKlage vortrage. Dieser hatte nicht umsonst Stunden in der Rhetorikgenommen, das wollte er allen zeigen und bewähren; sehr pathetisch ergriffer die ehelichen Mitgefühle der Versammelten, sprach von dem ersten Glückeder Vermählten und von der seligen, sorglosen Ruhe, in welche es allesStreben auflöse, um in dem Erstgebornen das Herrlichste darzustellen, wasdie ungeschwächte Kraft in ungestörter Leidenschaft hervorbringen könne,weswegen auch die Menschheit alles, was sie unteilbar erblich verliehe,nicht dem zweifelhaft größeren Talente unter den Kindern eines Vatersüberlassen möchte, sondern dem Erstgebornen, der in den allgemeinenGesetzen der Natur das Übergewicht seines Lebens begründet finde. Auchdiesen seinen künftigen Erstgebornen, die Freude des Landes Hadeln, wolleihm der Leichtsinn seiner entlaufenen Frau entziehen, nicht zu gedenken,wie diese jetzige Unruhe schon seinem ersten, keimenden Leben nachteiligsein müsse. “Der Teufel hat aus dem kleinen Kerl gesprochen”, sagte Chievres leise,“Mich rührt doch sonst so leicht nichts, aber er macht einem seine Not soplausibel.” Der Kleine fuhr fort: “Wie soll ich aber mein Unglück beschreiben, als ichin jener Nacht, wo das Glück meines Lebens mir entführt wurde, selbst inbangem Bette auf weitem Ozean segelte und an einem andern BetteSchiffbruch litt–gewiß eine Vorbedeutung der Schicksale meines Ehebettes-, was mich dann aufweckte; worauf ich mich wie einen Adler mitausgebreiteten Flügeln über dem Meere zur Sonne schwebend erblickte,welches doch sicher die Herstellung meines Glückes bezeichnet.” “Ja, wahrhaftig”, fiel hier Frau von Braka ein, die als Zeugin gerufenworden, “es war doch ein schlechter Streich von den jungen Windbeuteln,die ihn unterm Ofen angebunden hatten, denn sehen Sie ihn nur an, es istdoch immer nur ein schwacher, verbogener Mensch, wie leicht hätte er sicheinen Schaden tun können, daß ihm das Hinterste nach vorne umgedrehtworden wäre.” Diese gutmütige Rede versetzte die Versammlung in ein allgemeinesGelächter, und der Kleine erboste, daß er seinen Degen gegen sie zog, derihm aber noch frühzeitig genug von einem Hellebardierer abgenommen wurde.Jetzt ward er in aller Form des Gerichts von Cenrio verhört, ebenso Braka,bis sie eingestanden, daß sie unter einem angenommenen Namen in der Stadtgelebt. Von den Anforderungen an Bella wollte aber keiner abgehen; siebaten, den Priester kommen zu lassen, welcher die Vermählung eingesegnethätte. Länger konnte sich Bella nicht halten; sie fragte sie mit Unwillen,ob sie es vergessen, wie sie von ihnen zum Hause hinausgetrieben worden,nachdem sie von ihnen in Buik den Händen einer verruchten Kupplerinüberlassen geblieben; sie fragte, ob sie das an dem Kleinen verdient, alssie ihn aus einer unförmlichen Wurzel zu einem kleinen Menschenemporgetrieben? Der Kleine und Braka gerieten in die größte Verlegenheit; Braka hatteindessen bald ihre Überlegung flott gemacht; sie setzte schnell zur Parteider Bella über und sagte: was sie gesprochen, sei aus Furcht vor demkleinen Männchen ihr in den Mund gekommen, sie müsse jetzt eingestehen,daß irgendeine falsche Gestalt unter dem Namen Bella dem Alraun vermähltworden sei, die jetzt, sie wüßte nicht wie, verschwunden sei; diese echteBella müßte sie aber als Fürstin verehren, wie sie ihr seit frühern Jahrengedient habe. Dabei heulte sie wie eine Meute Hunde, die ihr Fressenerwarten, und warf sich vor Bella nieder. Der kleine Wurzelmann tobte jetzt wie ein Rasender, warf seinen Handschuhhin und schwur, daß er mit jedem fechten wolle, der ihm seine Fraustreitig machen oder ihn für einen Alraun erklären wollte. Chievreserklärte jetzt, daß erst dieser letzte Punkt berichtigt sein müsse, ob erein Mensch, um ihm ritterlichen Zweikampf einzuräumen, ferner ob erebenbürtig und christlicher Religion sei. Der Kleine behauptete, er habeeinen Diener, Bärnhäuter genannt, der dies alles, was ihm hierabgestritten, bescheinigen würde, man möchte nur erlauben, daß er denherbeiholte. Dies wurde ihm bewilligt. In der Zwischenzeit kam durch Brakas Geschwätzigkeit an den Tag, wie derAlraun alle verborgnen Schätze zu heben wisse und allerorten dergleichenangetroffen habe. Chievres horchte auf und sagte zum Erzherzoge: “Gottsegnet ihre Hoheit mit einem Finanzminister in der kleinen Person diesesAlrauns, der ihre künftige Größe fest begründen kann; unabhängig von denLaunen der Stände schafft er Eurer Hoheit künftig die Mittel, jedeTätigkeit für sich zu benutzen. Er wird die Seele des Staates; sein Geniewird göttliche Rechte und menschliche Wünsche, die ewig einanderwidersprechen, ausgleichen können. Lange lebe der Erzherzog und seinReichsalraun!” Dem Erzherzoge wurde in diesem Augenblick die künftige Klugheit, die ihnin allen Verhältnissen leitete, vorahndend; er nickte Chievreswohlgefällig zu und sann darauf, wie er das kleine, nützliche Wesen sichverbinden könne. Chievres stieg in seiner Gnade und in seinem Zutrauendurch die unerschöpfliche Erfindungskraft seiner Klugheit. Der Erzherzog begrüßte diesmal den Kleinen sehr freundlich, als er mit demBärnhäuter hereintrat, der die zurückgelassenen Kleider und dasangefangene Bild der Golem Bella trug. Der Kleine hatte dem armen Kerlden ganzen Rest des Schatzes auf einmal zu geben versprochen, insofern erein recht kräftiges Zeugnis ablegte, daß es nur eine Bella gebe, daß dieseohne alle Veranlassung nach ihrer Verheiratung aus dem Hause entwichen undeine Masse Leimen, von ihren Kleidern und ihrem Mantel umhüllt,zurückgelassen habe; zugleich solle er beschwören, daß er des AlraunsEltern gekannt, die im Lande Hadeln als gute Christen und alter Adelbekannt gewesen. Der alte, tote geizige Bärnhäuter hatte ihm das allesversprochen; er trat vor und begann die verabredete Lügengeschichte. Wieaber Braka oder Bella ihn zur Rede setzten, so antwortete derneuangefressene Teil seines Leibes, gleichsam die verbesserte Ausgabeseiner Natur, ganz entgegengesetzt mit einer helleren Stimme:Mensch–Nichtmensch, Bella verheiratet–Bella aus dem Haus gejagt,durchkreuzte sich so gewaltig, daß sein Zeugnis, nachdem die Richtermehrere Bogen beschrieben, in Null aufging. Der kleine Mann wurde fastunsinnig aus Ungeduld, entriß dem armen, ganz in sich zerrissenenBärnhäuter die Kleider und das Lehmbild, jagte ihn mit Fußtritten zur Türhinaus und schwur ihm, daß er den Schatz jetzt, statt ihn auszuliefern, inalle Welt als Almosen zerstreuen wolle; daß der Bärnhäuter umsonst bis zumJüngsten Tage von einem Herren zum andern sich verdingen solle, um ihnzusammenzubringen; daß er umsonst für einen alten Taler einen Herren demandern verraten werde, umsonst im Kriege von einem zum andern übergehe, umdas Werbegeld zu stehlen; seine bessere frische Natur werde das schändlichgewonnene Geld zur großen Qual seines alten Leibes verschenken undverschleudern, und so werde er am Jüngsten Tage noch so arm, abgerissenund trostlos wie im gegenwärtigen Augenblicke erscheinen(1). Nachdem derKleine diesen Fluch ausgesprochen, wendete er sich in trostlosem Ärger zuder Lehmfigur. Chievres fragte ihn, wen diese Gestalt bezeichne. DerKleine wies auf Bella und weinte bitterlich; wer hätte aber in der langenGurke, welche die Mitte des breiten Erdenkloßes bezeichnete, die feine,zierlich geschwungene Nase der schönen Bella erkannt. Seiner Art Liebegenügte aber vorläufig dieses Bild; es war zum Erstaunen, wie zärtlich erden von seinen Tränen angefeuchteten Ton berührte. Der arme Prometheus!Oft sah er Bella so grimmig an, daß der Erzherzog fürchtete, er möchte ihrdas Feuer ihrer Augen ausstechen, um es seinem Erdenkloße einzupropfen.Dann fürchtete wieder der Erzherzog, er möchte mit seinen Händen in demTon einwurzeln und seine geldbringende Weisheit in der Rückkehr zurWurzelnatur aufgeben. Er und Bella hatten längst erraten, daß dies derirdische Rest des Golems sei, und ihnen graute davor(2). ———————–(1) Der Fluch war etwas lang, aber er gehörteausführlich hieher, wenn sich etwa ein solcher Bedienter oder ein solcherSoldat, mit falschen Zeugnissen versehen, irgendwo melden sollte; einjeder kann ihn leicht aus der zweierlei einander widersprechenden Redeerkennen und meiden. (2) O ihr kunstschwatzenden Menschen, die ihr in alles sinnige Treibenunserer eigentümlichen Natur mit ewig leerem Widerhall von griechischerBildung hineinschreit, euch muß ich, der Erzähler, hier anreden! Ihrdünkt euch wohl hoch über die Arbeit des Alrauns erhaben, aber ich schwöreeuch, eure leeren Augen, mit denen ihr vor den alten Götterbildern steht,euer leeres Herz, das sich in tausend abgelebten Worten darüber ausläßt,sieht in den herrlichsten Schöpfungen des Altertums viel weniger als derarme Kleine in seiner halbgebildeten Masse; denn was sie ist, das wurdesie durch ihn, und wie er bis dahin gelangt, so wird er weiter dringen.Von euch ist aber nichts übergegangen zu den Göttern und von den Götternnichts zu euch. Euch sind die kunstlebendigen Götterbilder Golems, undlösche ich euch die Worte aus, so sind sie euch in nichts zerfallen.Leugnet ihr das? Auf, so schafft etwas Eigenes, das ihr zu jenen stellenkönnt, ohne daß ihr selbst darüber lacht–aber eure Hände sind stets arman Werken und euer Mund voll von Worten.———————– Bella lachte nicht des Bemühens im Kleinen, dies Bild ihr ähnlich zu schaffen.Die gutmütige Bella fühlte Mitleiden; sie bat, diese öffentlicheVersammlung zu endigen, denn sie müsse sich endlich doch sein Unglückwieder selbst vorwerfen, denn ihr Vorwitz habe ihn aus dem ruhigen Schoßder Erde gerufen. “Den Kuckuck mag’s da ruhig gewesen sein”, sagte derKleine, indem er sich aus Widerspruchgeist verschnappte, “die Maulwürfe,die Reitwürmer, die Ameisen haben mich da noch viel ärger geschoren alsihr alle zusammen.” Chievres sagte, daß diese Anerkennung hinreiche, und verließ mit denübrigen Herren vom Hofe das Zimmer. Der Erzherzog klopfte nun dem Kleinenauf die Schulter und sagte ihm: er möchte jetzt an den Unterschied,welchen die Geburt, die ihn aus einer Wurzel, Bella aus einemFürstenstamme hervorgehen lassen, mit ernstem Gemüte denken; eigentlichder Mann von Bella zu sein, wäre ihm nun unmöglich, denn wie in der Bibelstände: und der Mann soll dein Herr sein, so würde das Volk, das ihrgehorchte, ihn nie an ihrer Seite dulden; was aber möglich wäre und schonviel wert, er sollte ihr an der linken Hand angetraut werden und mit ihrin einem Hause unter dem Titel ihres Feldmarschalls wohnen, doch von Tischund Bett geschieden sein; nur müßte er geloben, um sich dieserAuszeichnung würdig zu machen, mit unermüdlichem Fleiße alle verborgenenSchätze aufzusuchen und ihm, als dem Schützer des künftigen Zigeunerreichs,zu überliefern. Der Kleine besann sich, endlich rief er: “Bravo, so ist’s mir ganz recht,und ich möchte Eurer Hoheit um den Hals fallen, wenn Sie nicht so großwären. Habe ich mein eignes Schlafzimmer, so werde ich ruhig liegen; ichweiß so nicht, wozu das Schlafen soll. Meine verlorene Frau, wenn esdiese nicht ist, ließ mir keine Ruhe und hat mir ein Paar ganz neue Augengekostet, die ich noch im Nacken sitzen hatte und mit denen ichvoraussehen konnte, wenn ich sie vorzubringen vermochte. DasZusammenessen hat mir auch bei meiner vorigen Frau, wenn es diese nichtist, niemals sonderlich behagt: ich mochte schreien, soviel ich wollte,sie nahm die besten Stücke, und wenn ich nicht ruhig sein wollte, schlugsie mir mit den heißen Knochen, item mit dem Suppenlöffel ins Gesicht.” Als Bella sich dem Vorschlage ebenfalls gefügt hatte, so schickte derErzherzog zu demselben Pfarrer, der den Alraun schon einmal getraut hatte,und ließ drohen, ihn bei Wasser und Brot wegen der heimlich vollzogenenEinsegnung gefangen zu setzen, wenn er eine zweite feierliche Einsegnungzu verrichten sich weigerte. Die arme Seele war zu allem bereit, undabends in einer Versammlung von wenigen Vertrauten des Erzherzogs wurdedie Vermählung an der linken Hand gefeiert, welche sowohl dieuntergeordneten Seelen, wie Braka, Cornelius Nepos und den geizigenPfarrer, als auch die Häupter unsrer Geschichte, den Erzherzog und Bella,miteinander in ein ruhig begründetes Verhältnis zu setzen versprach. DochBella weinte während der Vermählungsfeier so heftig, so unwillkürlich, daßsie keine Einwilligung geben konnte; umsonst fragte Karl zärtlich nach derUrsache ihrer Tränen, aber sie wußte keine, als daß ihr eine kleine Katzeeingefallen, die sie einmal des Alrauns wegen ersäuft hatte: diese Sündehätte sie vergessen zu beichten. Da sie keine Einwendung gegen dieseHochzeitzeremonien machte, so wurde die Hochzeit als beendigt angesehen,und der Kleine bezeigte noch an dem Abend seine Dankbarkeit gegen denErzherzog, indem er aus einer zugemauerten Nische des Schlosses einenSchatz an Münzen und goldnen Ketten befreite, der über zweihundert Jahredarin geruht hatte. Der Erzherzog, als er am Abende mit Bella allein war, fühlte sich ganzunerwartet durch die Erinnerung an die Golem Bella, wie sie in Erdezerfallen, so gestört, und Bella konnte die alte, ganz hingebendeVertraulichkeit so wenig in sich finden, daß beide froh waren, ihre Betteneinander nicht so nahe wie in Buik gestellt zu sehen. Der Erzherzogversank in einen schönen Traum: es war ihm, als sähe er mit denprachtvollen Goldketten, die ihm der Alraun gefunden, die spanischenGroßen, die selbst vor dem Könige mit bedecktem Haupte zu erscheinenwagten, zur Erde gedrückt; es war ihm, als könnte er viele tausendSoldaten mit diesen Ketten ziehen, und überall, wohin er mit ihnen zog,wurde ihm gehuldigt. Sein Nebenbuhler unterdessen, der doch aus einerRegung seines Blutes nicht schlafen konnte, fühlte sich wieder zu demLeimen, der jetzt seines Wurzelherzens einziger Schatz geworden war,zurückgetrieben, und in der Begeisterung über sein Glück gelang es ihmdiesmal besser: alles bildete sich unter seinen Händen so ähnlich, daß erentzückt den Besitz dieses selbstgeschaffnen Weibes jedem von Gottgeschaffenen vorzog, das sich unmöglich den wunderlichen Gedanken einessolchen am Sonntage Quasimodogeniti gebornen fügen konnte. Bella abergenoß wohl in dieser Nacht des höchsten Glückes von allen, als einwunderbarer Klang sie in der Mitternachtsstunde ans Fenster rief. Siehörte die Sprache ihres Volkes, dessen zerstreute Führer, nachdem derErzherzog ihnen eine Freiheit des Aufenthalts in den Niederlanden gewährthatte, zu der anerkannten Fürstin ihres Volkes geeilt waren, sie mit einemGesange nächtlich zu begrüßen, ihr Treue und Liebe bis in den Tod zuschwören. Wir wollen es versuchen, diese herzliche Begrüßung in einerÜbersetzung wiederzugeben, nachdem wir vorher noch über die Einrichtungihres Tanzes gesprochen haben. Sie hatten ihre Hände und Kleider miteiner Phosphorauflösung getränkt, die in jener Zeit nur ihnen bekannt war;sie leuchteten in Dampfwolken, und wo sie einander berührten oderaneinander strichen, wurde dies Leuchten zu einem hellen Glanze, dereinige Zeit nachwährte und währenddessen der Gesang einfiel: Gebüßt sind alle Sünden!Wir steigen ans den FlammenUnd werden uns zusammenBei unsrer Fürstin finden;Wir wecken die SchöneMit leisem Getöne,Es klinget die Krone,Vom Szepter berühret,Der endlos regieretVom Vater zum SohneIm HerrschergeschlechteNach göttlichem Rechte. Es füllt des Herbstes OdemDas Aug’ mit heißen Tränen,Das Herz mit heil’gem SehnenNach unsres Landes Boden.Jetzt sinken die Wogen,Die alles umzogen;Die schaffende StundeDurchspielet die Felder,und blühende WälderEntsteigen dem Grunde,Und zahllose KinderBesingen den Winter. Komm, Bella, führ die Deinen,Wir schwören dir die Treue,Komm, eil mit uns ins Freie,Vom Schloß aus tote Steinen;Wie schwarz sind die Mauern,Da wohnet das Trauern,Wie klirren die WaffenDer lauernden Wachen;Wie freundlich wird lachenDes Morgens Erschaffen,Wir folgen in ZugeDen Vögeln im Fluge. Wohl gehörte auch Bella zu einem Geschlechte der Zugvögel, die trotz allerzärtlichen Pflege und Liebe durch den Menschen, wenn sie die Stimme ihrerBrüder aus den Lüften vernehmen, nicht widerstehen können. Gibt es docharme Völker am Eispol, denen die Freuden und Erfindungen unserer Zone keinGefallen abgewinnen, und die beim Anblick eines Schwanes sich ins Wasserstürzen und mit ihm nach ihrer Heimat zu schwimmen wähnen; wievielmächtiger wirkt die eigentümlich überlegene Natur in dem stolzenHerrschersinne nach, aus welchem Bella hervorgegangen. Sie war doch inEuropa wie die fremde Blume, die sich nächtlich nur erschließt, weil dannin ihrer Heimat der Tag aufgeht. Ihre Sehnsucht, ihre Wehmut überströmtensie grenzenlos, sie konnte nicht bleiben und wußte doch nicht, warum; sieliebte den Erzherzog, wie sie ihn jemals geliebt, aber sie fühlte, seit ereine andre wie sie geliebt, daß sie seine erste Liebe mit sich trüge indie Ferne, und erst jetzt gestand sie sich, daß diese scheinbareVermählung, so wenig dabei die Reinheit ihrer Sitte leiden konnte, sietief gekränkt habe, weil ihr Karls Gesinnung, sich nicht heilig undewiglich, wie ihr fürstlicher Sinn gemeint, mit ihr zu vermählen, deutlichdaraus hervorgegangen sei. Was galt ihr seine Klugheit, wie er denReichtum sich verbinden und benutzen wollte; sie kannte nur dieHerrlichkeit der Armut, die alles besitzt, weil sie alles verschmähen kann:sie kannte nur ihr Volk, das jede Bezahlung von ihren Herrschernverschmähte und jede Tat für sie als schönsten Gewinn achtete. Sie nahetesich im innern Kampfe dem Bette des Erzherzogs, sie küßte ihn; wäre ererwacht, sie hätte nicht von ihm lassen können; aber er stieß sie imSchlaf von sich: ihm träumte, als ob die goldne Kette, worin er die Völkerführte, ihm selbst, der sie hielt, immer enger sich um den Fuß wickelte,daß er dadurch zu fallen fürchtete; darum stieß er sie von sich. Sie aberfühlte das im bewegten Gemüte anders und sprang leicht aufs Fenster und zuden Ihren herab, ohne zu denken, ob ihr Sprung hoch oder nieder; aber dasGlück ihres Volkes wollte sie unverletzt erhalten. Ihre Zimmer waren imersten Geschoß, und der fahrende Schüler, den seine Liebe und Traurigkeit,nachdem er sie im Schlosse erkannt, des Nachts unter ihr Fenster getrieben,fing sie in seinen Armen auf. Die Zigeuner erkannten sie, setzten ihrdie Krone auf, gaben den Szepter ihr in die Hand und zogen, ohne daß dieWachen etwas bemerkt hatten, stillschweigend mit ihr und dem fahrendenSchüler, daß er sie nicht verraten konnte, vors Tor, wo sie auf leichtenPferden, auf verborgenen Pfaden aller Nachforschung entgingen. Als der Erzherzog aus dem bänglichen Schlusse seines Herrschertraumes zumLichte aufwachte, das allen Träumen mit den kecken Worten entgegenzutretenscheint: ihr seid nicht wahr, denn ihr besteht nicht vor mir!–da meinteauch er, alles Traurige, was ihn bedroht, sei ein Hirngespinst gewesen.Wer spinnt aber im Innern unsres Hirnes? Der die Sterne im Gewölbe desHimmels in Gleichheit und Abwechselung bewegt! Der Schatz der Erzherzogslag unversehrt vor dem Bette, er spielte leise damit, um Bella nicht zuerwecken. Aber der geschäftige Drang des Tages nahte immer tosender aufallen Straßen, und Bella erwachte immer noch nicht; er rief, er sah nachihrem Bette, aber er fand sie nicht. Er durchlief ängstlich das Haus;aber Bella war nicht zu errufen. “Pflückt sie mir einen Blumenstrauß,unsern Morgen zu schmücken? Ist sie in der Frühmesse und dankt Gott fürihr Geschick?” Beides widerlegte die nächste Stunde, und der Erzherzog befragte ohneErfolg die Wachen, ließ Braka vergebens rufen. Die alte Braka weinteernstlich um die schöne Bella, alle schöne Aussichten schwanden ihr. Wieaber Weiber im Unglücke sind, der vornehme Stand hält die Zunge ihresUnwillens nicht zurück, ihr Kopf füllt sich so ganz mit einem Gefühle, daßsie jeder Rücksicht vergessen: statt den zornigen, ungeduldigen Erzherzogzu fürchten, machte sie ihm die bittersten Vorwürfe, daß seine Grausamkeit,Bella mit dem Kleinen zu verheiraten, sie zur Flucht veranlaßt hätte.Der Erzherzog schwieg beschämt, er fühlte, daß sie recht hatte, daß seinetörichte Klugheit ihm das Köstlichste entrissen, was sein ganzes Lebenausgestattet hätte; er fühlte sich so verächtlich vor den Augen der Alten,als der kleine Alraun nimmer vor seinen Augen gestanden. Er befahl Braka,sich zu entfernen, und gebot ihr nachher, ein Gnadengehalt anzunehmen undes in der Nähe seines Hofes zu verzehren, damit er jemand hätte, mit demer von seiner Bella reden könnte. Seine unzähligen Boten, die Deutschlanddurchstreiften, kamen ohne Nachricht zurück; sein Großvater Maximilian,der etwas von seiner Leidenschaft vernommen, hatte sie allerorten abweisenlassen. Erst sehr spät, nachdem Isabella mit den Ihren längstweitergegangen, erfuhr er, daß sie im Böhmerwalde von einem Prinzenentbunden worden, der in der Taufe den Namen Lrak (der umgekehrte Name desVaters Karl) erhalten hätte, und daß der fahrende Schüler, der mit denZigeunern entwichen, durch Bellas Gunst, unter dem Namen Sleipner, einerihrer Anführer geworden sei. Das Warten auf diese Nachrichten war die Ursache seines unbegreiflichenZögerns, ehe er aus den Niederlanden nach Spanien ging, wo sein Großvaterinzwischen gestorben war und die gewaltsame Klugheit des Ximenez, ohneseine Gegenwart, leicht bürgerliche Kriege veranlassen konnte. Als erdiese Kunde von Isabellen erhalten, wäre er ihr gern nachgezogen, aber wosollte er sie treffen? Wie sollte er den Jugendträumen seinerHerrscherlust entsagen? Doch ward ihm die Krone, die er bis dahin bloßals Schmuck angesehen, zu einem drückenden Gewichte, und dieFeierlichkeiten, die ihm bis dahin die Zierde der Tage geschienen, zueiner verlornen Zeit, wie das Stundenschlagen, das mit seinem Klange dieruhige Folge sehnender Gedanken unterbricht. Irren wir nicht, so läßtsich manche seiner Launen, an denen seine wichtigsten Unternehmungenscheiterten, aus diesem ersten Mißgriffe seiner Klugheit erklären: dieseGleichgültigkeit, womit er das Regierungswesen zuerst behandelte, wie erChievres und die Seinen in der verächtlichsten Bestechlichkeit Spanienverderben ließ; die Sinnlichkeit, in der er sich oft zu vergessen suchteund worin er die Stärke seines Leibes früher erschöpfte; allesUnbefriedigte und Unbefriedigende in seinem Leben. Er bedurfte der Zeit,großer Ereignisse, wie die Eroberung von Neuspanien und seine Ernennungzum Kaiser, und eines unermüdlichen Gegners, um nicht früher in einenÜberdruß gegen alle Regierungsgeschäfte zu versinken; endlich bedurfte erauch des Alrauns, um seine übereilende Tätigkeit in Wirkung zu setzen. Was wurde aus diesem Nebenbuhler seiner Liebe? Der Kleine hatte nachallen Kräften seiner nun doppelt verlornen Gattin nachgeforscht, abervergebens; doch fand er früher als Karl eine Beruhigung, indem er mitrastloser Tätigkeit an der Beendigung des Bildes der schönen Bellaarbeitete. In seiner unruhigen Betrübnis kam Karl eines Morgens auf seinZimmer, begrüßte das ähnliche Bild mit einem Schrei der Verwunderung undtrug es, ohne der Bitten und Drohungen des Kleinen zu achten, auf seinZimmer. Während er es da mit Blumen bekränzte und kniend es begrüßte,vernahmen die Bewohner des Schlosses ein unerträgliches Lärmen im Zimmerdes Kleinen; mit Fluchen des Kleinen hatte es angefangen, bald waren immermehr Stimmen darin gehört worden. Als die Wachen das Zimmer erbrachen,geschah ein heftiger Schlag, das Zimmer roch nach Schwefel, der kleineWurzelmann lag zerrissen und ohne Bewegung auf dem Boden. Als er heimlichbegraben, glaubte sich Karl von ihm befreit, die Menschen glaubten ihngänzlich zerstört, er aber war in seiner Wut dämonisiert, und der Kaiserwußte bald, daß er ohne eine große Buße von seiner überlästigen Gegenwartnicht wieder los und ledig werden konnte. Umsonst wechselte er Wohnort und Kleider, umsonst versuchte er sogar denafrikanischen Himmel; wenn er ihn auf immer gebannt glaubte und es bewegteirgendein böser Wunsch sein Gemüt, gleich war der Alraun ihm nahe, bald inder Gestalt eines Heimchens, das hinter dem Ofen ihm zurief, wo er Geldund Gelegenheit dazu finden könnte, bald als eine Spinne, die von derDecke des Zimmers sich auf seine Schreibereien herabließ, bald als eineKröte, die ihm im Gartengange entgegentrat, oft schnurrte er ihn auch anals ein fliegender Käfer, abends und nachts schrie er wie ein wilder Vogel.Karl horchte und gehorchte nur zu oft dieser Stimme, wehe uns Nachkommenseiner Zeit. War ihm vieles durch diesen geldbringenden Geist möglich, somußte er dagegen früher seine Herrscherbahn schließen, um in heiligemLeben, in Buße und Gebet jeden bösen Wunsch zu bannen. Zu Gent, von den Erinnerungen seiner ersten Liebe und ihres Untergangsabgetötet, beschloß er seinen eignen Sonnenuntergang zu feiern: hierentließ er seinen Sohn Philipp mit vielen Tränen, auch von den Gesandtennahm er Abschied und lebte bis zu seiner Abfahrt nach Spanien in dertiefsten Einsamkeit eines gesonderten Lebens. An seinem Geburtstage nahmer Besitz von dem für ihn eingerichteten Hieronymitenkloster St. Just inSpanien: er dachte, daß dieser Tag den Alraun auch auf die Welt gesetzt,der seine irdische Bahn verletzt hatte, und sprach, daß er an eben demTage, da er auf Erden sei geboren worden, auch dem Himmel wollewiedergeboren sein. Sein ernstes Gebet ist ihm erfüllt worden, seineblutige Geißel, die nach seinem Tode als ein Heiligtum bewahrt worden,bezeugt, wie schwer es ihm geworden, sich den gewohnten Lieblingsgedankenzu entschlagen; wir aber, deren Voreltern durch sein politischesGlaubenswesen so viel erlitten, die von des Alrauns schnöder Geldlust fortund fort gereizt und gequält worden, und endlich selbst noch an derTrennung Deutschlands untergingen, welche er aus Mangel frommer Einheitund Begeisterung, indem er sie hindern wollte, hervorbrachte, wir fühlenuns durch das erzählte Mißgeschick seiner ersten Liebe, durch diese Reuemit seiner Natur versöhnt und sehen ein, daß nur ein Heiliger auf demThrone jene Zeit hätte bestehen können. So fühlte er sich selbst auch gerechtfertigt, als er, um sein Herz zuprüfen, ob er bereit sei zu dem großen Übergange, der selbst demabgelebten Alter überraschend ist, mag es sich durch Betrachtungvorgewöhnen oder in erkünstelter Tätigkeit ihn übersehen wollen, sich einprächtiges Grabmal in der Klosterkirche nach eigenem Plane bauen ließ, dasin kunstreichen Galerien, welche mit den Bildnissen seiner Vorgängerbedeckt, zur Spitze anlief, wohin sein eigener Sarg gestellt werden sollte.Er fühlte sich gerechtfertigt, als er sich nun lebend in diesen Sarglegte, von Trauergesang, Glockengeläut und schwarzen Kerzen begleitet,sich einsam hinaufstellen ließ und durch die irdisch geschlossene Deckeder Kirche Isabella erblickte, wie sie ihm tröstend und liebend an denGefilden der ewigen Gedanken begegnete, wo die Irrtümer des Menschen mitder Last seines Leibes in Staub zerfallen. Sie winkte ihm, und er folgteihr bald und sah ein helles Morgenlicht, worin Isabella ihm den Weg zumHimmel zeigte, und fragte die Anwesenden, ob es schon so hoch am Tage sei.Der Erzbischof sagte aber, es sei Nacht. Da befahl er seinen Geist inGottes Hände und starb. Befragen wir unser Herz, wie wir sterben möchten:sicher wie Karl, die Geliebte unsrer Jugend als einen heiligen Engelzwischen uns und der Sonne, von der wir scheiden, weil sie uns blendet;gleichsam wie einen farbigen Vorhang, daß selbst die Schatten derblumenpflückenden und nichts fassenden Hände gefärbt erscheinen. JenesLeichenbegängnis Karls muß uns nicht wie eine wunderliche Schauspielereierschrecken. Derselbe Gedanke, der bei dem Beherrscher einer Welt zur Tatwurde, bewegt viele Gemüter, die ein ernstes Leben geführt haben; aber erbleibt Gedanke und verwandelt sich sonst häufig in eine Sorgsamkeit in derAnordnung des wirklichen Leichenbegängnisses, worin sich selten Eitelkeit,häufiger der Wunsch äußert, ein Leben, das nach gewissen festenGrundsätzen geführt, in derselben Gesinnung zu schließen. Unsre eitleZeit verachtet jede Leichenfeier, bei unsern frommen Voreltern war oft einanständiges Leichentuch einzige Mitgabe der Braut, und ein prachtvollerSarg schloß ein bescheidnes Leben. Wer wagt das Sonderbarkeit zuschelten? Es war Nebenäußerung jener Einheit, die uns in aller ihrerGeschichte anspricht, aber noch lebendiger in den Denkmalen ihrervielhundertjährigen Andacht, die in den Kirchengebäuden alter deutscherZeit vor uns steht. Welche Einheit und Ausgleichung aller Verhältnisse,wie fest begründet alles an der Erde und doch alles dem Himmel eigen, zumHimmel führend, an seiner Grenze am herrlichsten und prachtvollstengeschlossen. Zum Himmel richtet die Kirche wie betende Hände unzähligeBlütenknospen und Reihen erhabener Bilder empor, alle zu dem Kreuze hinauf,das die Spitze des Baues als Schluß des göttlichen Lebens auf Erdenbezeichnet, das als die höchste Pracht der Erde, die sich dadurch zuunendlichen Taten begeistert fühlt, einzig mit dem Golde glänzt, womitkein andres Bild oder Zeichen neben ihm in der ganzen heiligen Geschichte,die der Bau darstellt, sich zu schmücken wagt. Nicht nur über KaiserKarls Leichenbegängnis, auch über sein Leben hat die Nachwelt einlangwieriges Totengericht gehalten, aber nur die Mitlebenden können einenHerrscher am Ende seiner Laufbahn würdigen, und wie lehrreich scheinendarin die Totengerichte der alten Ägypter, sie gehören aber nicht in unsreeuropäische Welt. Noch jetzt finden wir sie in Abessinien, noch jetztwerden die Nachkommen unsrer Isabella auf dem Throne den Tag nach ihremTode in dem Eingange der Pyramide, die ihnen als Grabstätte dient,öffentlich ausgestellt, und jeder ist verpflichtet, auszusagen, was erüber den Verstorbenen denkt. Auch über Isabella hat dieses Totengerichtgesprochen; noch jetzt sprechen die Abessinier von diesem Totengerichte,das sie bei ihrem Leben noch über sich halten und aufzeichnen ließ; siezeigen noch jetzt ihr Bild bei den Quellen des Nils, wie sie da alle ineinem Siebe vereinigt, durch das sie als unzählige Quellen zur Erde laufen,zum Zeichen, wie sie zwar die getrennten Völkerstämme der Abessinier oderZigeuner vereinigte, aber nicht hindern konnte, daß sie durch innernStreit auseinanderliefen. Wir danken diese Nachrichten dem berühmtenReisenden Taurinius, dessen eigene Worte wir hier mitteilen wollen:“Isabella, die berühmte Königin, berief ihren Sohn Lrak, den sie von Karlnach der Voraussagung Adrians empfangen, ihren Feldherren Sleipner, derals ein armer fahrender Schüler aus Gent mit ihr fortgezogen war, ferneralle Ehrenmänner und Vorsteher des Volks, nach dem Eingange der großenPyramide an den Quellen des Nils, welche sie sich zum Grabmal erbaut hatte.Es war am 20. August 1558, an demselben Tage, wo ihr geliebter Karlsein Leichenbegängnis bei lebendem Körper mit offenen Augen feierte,gleichsam in einer heimlichen Ahndung, als wollte sie mit einem gleichenernsten Vorbilde vom Leben scheiden. Sie erklärte dort, indem sie vonallen freundlichen Abschied nahm und den trostlosen Sleipner auf denHimmel verwies, wo seine Liebe eine reiche Belohnung finden würde, undihren Sohn an ihr Herz drückte. Da, sage ich, denn also habe ich esmehrmals erzählen hören, erklärte sie, daß sie sich zu krank und hinfälligfühle, um der Regierung länger vorzustehen, und weil sie jetzt aufhöre zuherrschen und gleichsam aus der Welt gehe, so wäre es ihr sehnlicherWunsch und ihre letzte Bitte, daß die alte heilige Sitte des Totengerichtsnicht bis zu ihrem wirklichen leiblichen Tode ausgesetzt bleibe, sonderndaß ein jeglicher jetzo gleich, während sie sich in ihrem Sarge ausstrecke,vorübergehe und seine Meinung nach geleistetem Eide wahr und unverhohlenüber sie ausspreche. So hatte sie sich erklärt, und da keine Bitten,keine Tränen ihr diesen Entschluß auszureden vermochten, so schritt manalso gleich zur Eidesleistung. Die Königin legte sich unter unzähligenTränen in ihren Sarg, und ein jeglicher trat seiner Würde gemäß, wie erpflegte, vor ihr hin und ließ sein wohlüberdachtes Urteil, also, daß siees deutlich vernehmen konnte, in das königliche Buch eintragen. O welchein seliger Tag für die Reine! Wie leicht war der Tadel gegen dieVorwürfe, die sie sich selbst gar oft soll gemacht haben. Der Priester,der mir das Ausführlichste darüber mitteilte, las mir, wie ihr dabeigeschehen und wie selig sie während des Totengerichts verstorben sei, wiefolget, aus einer alten Pergamentrolle vor, woraus ich es sogleich inunsre deutsche Muttersprache zu übersetzen wagte, wobei mir aber zuweilencopia verborum gefehlet hat, weswegen ich es nochmals von Magister Uhsenwieder übersehen und sehr verbessern lassen: Sie versank während desTotengerichts in ein freudiges Anschauen. Aus dem Nebel, der dasherrliche Land, das sie geschaffen, bisher noch gedeckt hatte, traten ihrerst die nahen seligen Gärten hervor, darinnen die glücklichen Kinderihres umgetriebnen Volkes wieder ruhig spielten; darinnen die Brunnensprangen, wo sonst die Krokodile im dürren Sande sich gesonnt hatten;darinnen rote und blaue Vögel sangen, wo sonst die Schlangen gezischthatten. Weiterhin erschien ihr die grüne Wiese voll Blumen, und dieLämmer mit ihren Glocken bewegten sich langsam klingend zwischen denHalmen, wo sonst der Tod unter dem grundlosen Moraste auf alles Lebendelauerte. Dann aber strömte der Fluß, der Fluß aller Flüsse vorüber, dasunschuldige Metall der Oberwelt glänzend poliert wie ein Schwert; von denRudern der Schiffer fleißig gehämmert, wo sonst nur der Fisch in seichterFläche zu schwimmen wagte. Aber das Herrlichste lag drüben und jenseits,und wie sie in tiefer Seele an dem Gedanken sich entzückte, ihremgeliebten Volke in unablässigem Bemühen alle einzelnen Steine zu denPalästen künftiger Macht behauen zu haben, da glänzten ihr drüben schondie Schlösser und Kirchen künftiger Herrlichkeit im aufgehenden Lichte.Sie näherte sich verwundert dem Strome und sah nur nach drüben, wo sichdie geahndete Erfüllung in sichrer Wirklichkeit zeigte, und so stürzte siein den Strom und ward von ihm hinübergeführt und war drüben–mit diesemBilde suchte ein frommer Zeuge ihres Todes die Seligkeit ihres sterbendenAngesichtes auszudrücken und zu erklären.”–Liebreiche Isabella! wirhaben dich schuldlos erfunden im kleinen Kreise deiner Jugendliebe, warumsollten wir zweifeln an den Erzählungen der Reisenden, daß du auch auf derHöhe eines Thrones im Überblick einer Welt dir selbst treu geblieben bist;denn was ist diese Welt gegen diese Treue, die unwandelbar bleibt, wo sieeinmal bewährt ist. Deine Liebe ist nicht untergegangen in ihrerVerschmähung, der eine sollte sie nicht begreifen, nicht würdigen, nichtbewahren, daß sie übergehe zu einem Volke, welches in deiner Liebe sichbefreite. Kein Leiden, keine Reue, kein Zweifel wird deinen Blickzurückgewendet haben zu dem, den du verlassen, weil er dich aufgegebenhatte; was in reiner Seele die Begeisterung eines Augenblickes tut, bleibtihr notwendiges Gesetz in Ewigkeit. Reines Bild des jugendlichen Lebens,wir blicken zu dir und flehen: Reinige uns von eingebildeten Leiden derLiebe und von angebildeten Sünden der Zeit; das Totengericht der Menschensoll uns nicht schrecken, aber wer scheut nicht die Totenrichter in sichselbst, die unerbittliche Strenge der Gedanken, die sich nicht täuschenlassen, wo wir andern genügen, aber nicht der eignen Kraft; heiligeIsabella, wehe Himmelsluft auf meine heiße Stirne, wenn ich Gericht halteüber mich selbst! Am Himmel steht ein drohender Komet und glühet den Herbst zum Sommer, wozuwird er den Frühling entbrennen? Sei getrost, liebe Seele, sei getrost,du Welt, dir ist viel vom Herren verheißen.